5.7.2014
Von „Haast“ klettert die Straße über den gleichnamigen Pass, der zwar nicht allzu hoch, aber dafür umso steiler ist. Nach getaner Arbeit treffe ich auf der Passhöhe zwei Tschechen, die in
Gegenrichtung unterwegs sind. Der Austausch der Tipps für die jeweils bevorstehende Strecke des Anderen dauert mit einigen eingestreuten Geschichten eine gute halbe Stunde und als ich auf der
anderen Seite des bewaldeten Passes runterrolle, ist die Landschaft wie ausgewechselt.
Der Wald weicht einem breiten fast baumlosen Tal. Der Fluss ist noch umgeben von einigen grünen Flecken, ansonsten macht die ganze Gegend einen knochentrockenen Eindruck. Erst mit Erreichen des
„Lake Wanaka“ kommt wieder mehr Wasser ins Spiel. Dies allerdings mit schier unglaublichen Blautönen, die im Kontrast mit dem Beige der umgebenden Berge eine geradezu magische Atmosphäre
verströmen.
Auch der parallel gelegene „Lake Hawea“, an dem ich abends zelte und dessen lohnender Besuch einem von der Straßenführung glücklicherweise aufgezwungen wird, bietet ein ähnliches Bild. Die
Wetterscheide zwischen der wind- und regengegerbten Westküste und dem trockenen fast schon wüstenhaften Ostteil der Insel ist hier eine Sache von nur einigen Kilometern.
Eine weitere Überraschung erwartet mich, als ich von der 1073 Meter hohen „Crown Range“ nach „Queenstown“ hinunter rausche. Nicht nur die endlose Abfahrt in ein grünes, fruchtbares Tal, sondern
auch die immer dichter werdende Besiedelung weisen mir den Weg in eine völlig andere Welt der Partymetropole der Südinsel.
Queenstown liegt malerisch an einem langgezogenen See, den man für einen Fjord halten könnte, wären da nicht die 358 Höhenmeter, die man sich hier über Meereshöhe befindet.
Meine nächste Verabredung ist Peter Macky aus Auckland mit sechs Freunden aus verschiedenen Orten der Nordinsel, die am nächsten Tag den Otago Rail Cycletrail starten. Wir hatten schon Wochen
vorher Mailkontakt, da er in Deutschland Fahrradtouren organisiert und er mit meiner Schwester beruflich Kontakt hatte. Da ich ihn in Auckland knapp verpasst hatte, kam dann irgendwann die Mail,
dass er Mitte März in Queenstown sei, und es schön wäre wenn ich es einrichten kann, ihn dort zu treffen. Gesagt, getan. Am Abend vor ihrem Aufbruch schaffe ich es trotz einigen Verirrungen auf
schlecht oder unmarkierten Radwegen noch bis zu späten Nachmittag auf den Campsite.
Zum Abendessen beim Thai treffe ich die Gruppe dann gegen 19:00 Uhr. Peter schätze ich Mitte fünfzig, die anderen, drei Paare, deutlich älter. Ich bin überrascht, dass diese Leute hier eine
fünftägige Radtour machen. Vor allem, als sie mir erzählen, dass sie sonst wenig Raderfahrung haben. Aber ich finde es auch irgendwie großartig, dass der Gedanke des „Radetourens“ sich scheinbar
stark verbreitet. Selbst hier in Neuseeland. Da ich weiß, dass der „Otago Central Rail Trail“, wenig Steigungen hat, mache ich ihnen Mut, da doch eine gewisse Aufgeregtheit oder auch Nervosität
zu spüren ist.
Nach dem Essen verschwinden die anderen ins Hotel, um für den nächsten Tag fit zu sein und ich gehe noch mit Peter um die Ecke auf einen Drink in eine Hotelbar, da in der großen Runde wenig Raum
für einen näheren Austausch war.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch die Tatsache, dass ich sowohl zum Essen, wie auch später in der Bar, eingeladen wurde. Die unumstößliche Begründung lautete: „If you are in my country, it’s
natural that I pay the bill.“
(Wenn du zu Gast in meinem Land bist, ist das eine Selbstverständlichkeit.“) Auch hier wieder typische Kiwitugenden: Großzügigkeit und Gastfreundschaft.
Am nächsten Tag erforsche ich die Stadt und bin doch etwas geschockt von der Tourismusindustrie, die sich hier auch ohne Bettenburgen, Kreuzfahrttempel oder Entertainmentpaläste auf ganz eigene
Art ausbreitet. An jeder zweiten Ecke wartet eine Eventagentur auf Kundschaft. Die Restaurants wirken wie Abziehbilder verschiedener Fastfoodketten und eigentlich hat man den Eindruck, dass hier
ausschließlich Touristen rumlaufen. Auch wenn ich selbst natürlich einer von denen bin, geht es mir doch gehörig auf den Senkel, ständig irgendwas verkauft zu bekommen. Die Hafenpromenade ist
voller Werbung für dies und das. Hier noch ein Andenkenstand, dort noch eine Wurstbude und natürlich ständig die Superlative: „New Zealands best selling, most visited, highest, fastest, oldest
…“
Seltsame Blüten treibt dann beispielsweise die Erwähnung eines ortsansässigen Burgerbraters im Lonely Planet Reiseführer. Sinngemäß steht dort, allein der Genuss eines der dort servierten Burgers
lohne bereits den Besuch von Queenstown und die Reise nach Neuseeland. Die Folge ist: die Leute stehen sich die Beine in den Bauch. Es werden Bestellnummern vergeben, deren Voranschreiten auf
einem Display verfolgt werden kann. Es ist wie auf dem Amt. Durchschnittliche Wartezeit zu Stoßzeiten: Über eine Stunde!
Ganz in der Nähe des Ortes liegt übrigens die „Kawarau Bridge“, eines der wohl bekanntesten Bungeejumping Objekte weltweit, da es dort angeblich erstmals kommerziell angeboten wurde. Ein 43
metersprung in freiem Fall, der kurz vor dem Wasser von einem Gummiseil, an das man gesichert ist, abgefedert wird. Da die Länge des Seils je nach Körpergewicht individuell eingestellt wird,
lässt sich der Tiefpunkt des Federns auch etwas unter die Wasseroberfläche verlagern, was dann mit einem nassen Oberkörper verbunden ist, da man sich in der Regel kopfüber in die Tiefe stürzt.
Mittlerweile gibt es das Bungeespringen in Neuseeland mit Sprunghöhen bis zu 150 Metern. Es gehört, gerade für jüngere Besucher, in die Liste der „To-Does“ in „Kiwi-Country“.
(Um Nachfragen zuvorzukommen: Nein, ich bin nicht gesprungen. Als ich da war dachte ich, ich hätte sowas nicht nötig und nun, wo ich wieder weg bin, habe doch irgendwie den Eindruck was verpasst
zu haben. Aber es gibt ja immer ein nächstes Mal!)
Andere Attraktionen sind eine atemberaubende Seilbahn zum „Bob’s Peak“, einer Aussichtsplattform und Bergstation wo mehrere Para- und Hangglidingrampen auf waghalsige Flugabsolventen
warten, sowie Riesenschaukeln über dem Abgrund, die den schlichten Namen „Swing“ tragen.
Verschiedene Jetboats, die hier mit bis zu sechzehn Passagieren übers Wasser heizen, werden von einem alten, etwas betagten Dampfer, der „SS Earnslaw“, kontrastiert.
Mit diesem setze ich dann mitsamt des gepackten Fahrrads auf die andere Seeseite über. Auch dies wieder ein Tipp des Buches.
„Walter Peak High Country Farm“, der Ankunftsort, besteht lediglich aus einem Besuchsbauernhof und einem gediegenen viktorianisch anmutenden Gasthaus. Von dort führt eine Schotterpiste erst
entlang des Seeufers und dann über einen kleinen Pass auf ein Hochland, das mich sehr an Island erinnert. Auch hier herrscht wieder eine baumlose Leere und die weite der Landschaft steht in
krassem Widerspruch zu ihrer dünnen Besiedlung. Insgesamt passiere ich am ersten Tag drei Farmen und begegne genau zwei Autos. Außerdem einem älteren Paar, das auch mit ihren Rädern auf dem
Schiff war. Nach meiner Mittagspause treffe ich die beiden nahe einer kleinen Brücke. Er liegt etwas unterhalb der Straße im Gras und sein Rad seltsam verkantet neben ihm. Seine Frau steht auf
der Piste an ihrem Rad und kramt in ihrer Packtasche. Ich frage, eigentlich ironisch, ob das hier ein Unfall ist und bekomme eine bejahende Antwort. Der ältere Herr hat vor lauter beeindruckender
Landschaft den Blick auf die Piste vergessen und ist in ein tiefes Schlagloch geraten und dann in den steil abfallenden Graben gefallen.
Mein Angebot die Reiseapotheke herauszuholen lehnen sie ab, da sie selbst etwas dabei hätten. Aber irgendwie traue ich dem Braten nicht und je länger ich weiterfahre desto mehr wächst bei mir die
Überlegung umzudrehen, da die beiden gute zwanzig Kilometer von der Dampferanlegestelle entfernt sind und sonst keine Hilfe in der Nähe. Auch ein Mobiltelefon hat hier keinen Empfang. Die Rettung
naht im ersten entgegenkommenden Auto des Tages. In dem Allradtoyota sitzt ein Mann mit Cowboyhut. Ich stoppe den Wagen und erkläre ihm, dass in etwa fünf Kilometern Entfernung zwei
Radfahrer an der Straße wären, von denen einer gerade einen Unfall gehabt hätte. Es wäre nett, wenn er sich kurz nach dem Zustand des Verunfallten erkundigen und die beiden im schlimmsten Falle
mit nach Walter Peak nehmen könne.
Mit seinem Versprechen, die Augen nach den beiden offen zu halten und sich gegebenenfalls zu kümmern, fahre ich weiter und komme gegen Abend in ein bewaldetes Tal an dem die beiden
„Mavora Lakes“ liegen. Die ganze Gegend hier ist ein Nationalpark und war schon vorher eine wichtige Maori Kultstätte.
Ich zelte dort mit vielen Mücken und versuche am nächsten Tag nach Mossburn zu kommen um mich mit John, einem Farmer und gleichzeitig Counseller im Provinzparlament von Southland ist, zu treffen.
Da er gerade im 120km entfernten Invercargill ist, verabreden wir uns für den nächsten Abend dort und ich radle noch etwa 60km in den Abend.
Die Stadt Invercargill, ist extrem weitläufig und mein Campsite liegt gute acht Kilometer nördlich des Zentrums. Für eine Stadt mit etwas über 50.000 Einwohnern ist es schon eine Leistung wenn
die Grundfläche fast 500 Quadratkilometer hat.
Man merkt allerdings auch deutlich, dass sich hier nicht alles um den Tourismus dreht. Das Straßenbild wirkt ungekünstelt. Eine lebendige Stadt ohne Sperenzchen. Auf meinem Campsite werde ich
durch eine kleine Geste angenhem überrascht. Die Betreiberin überreicht mir nach dem "Check-In" ein riesiges Frotteehandtuch und einen Klappstuhl. Auf die Frage nach dem Grund für diese
kostenlosen und ungewöhnlichen Extras antwortet sie, dass ihr Bruder mehrere Monate mit dem Rad in Europa unterwegs war. Auf die Frage, was ihm am meisten gefehlt hat, hätte er spontan ein großes
Handtuch und einen Stuhl genannt. Seitdem bietet sie diese beiden Utensilien allen Radreisenden an, die hier Station machen. Auch wenn für den Stuhl das Wetter zu kühl und feucht war habe ich den
Quadratmeter Frottee doch sehr genossen. Sicherlich auch, weil ich in Neuseeland bisher keine Nacht im Hotel verbracht habe.
An der Stadtbibliothek, die sieben Tage die Woche geöffnet ist, treffe ich John. Wir laufen ein paar Meter und landen in einem stilechten Pub. Wie es der Zufall will, gesellt sich zu uns an den
Tisch noch ein US-Amerikaner, der am nächsten Tag vom zehn Kilometer südlich gelegenen Hafenstädtchen „Bluff“ auf die „Steward Islands“ übersetzen möchte. Für viele Touristen vielleicht der
einzige Grund überhaupt nach Invercargill zu kommen.
Ich frage John manches Loch in den Bauch, was die Landwirtschaft, die Umwelt und die Regierung angeht, und ich glaube er ist ganz froh, dass der Amerikaner da noch einige lockere Episoden aus
seiner Heimat einstreut.
Jedenfalls erfahre ich, daß John vor einigen Jahren von Schafen auf Milchwirtschaft umgestellt. Ein Schritt, den in den letzten Jahren wohl etliche Landwirte gegangen sind, hauptsächlich weil man
pro Hektar Land einfach mehr erwirtschaften kann. Die Frage nach der Abnahme all der produzierten Milch beantworten die Milchpuverfabriken, die in regelmäßigen Abständen fast landesweit wie Pilze
aus dem Boden schießen und die Tag für Tag Containerladungen Trockenmilch mit dem Ziel China auswerfen.
Als Counsellor ist er u.a. auch mit dem Radwegekonzept der Region vertraut. Da er selbst jede Menge sportliche Aktiviurlaube, oft auch mit seinen erwachsenen Kindern, unternimmt, ist er dafür
sicherlich mehr als geeignet. Meine Kritik am Fahrstil des Gros der örtlichen Fahrzeuglenker kann er nachvollziehen. Er hört sie wohl auch nicht zum ersten mal und so einigen wir uns, dass
Veränderungen nur über Erziehung und Aufmerksamkeit durchzusetzen sind und dass dafür Zeit ein wesentlicher Parameter ist.
Zu diesem Punkt muss ich noch erwähnen, dass auf der Südinsel bisher ein etwas rücksichtsvollerer Umgangston von Seiten der Autofahrer zu spüren ist. Das mag aber ausschließlich an der höheren
Touristendichte liegen. Bei der Einfahrt nach Invercargill fühlte ich mich schlagartig an Auckland erinnert. Und das, obwohl die Straßen breit und meist sogar vierspurig sind.
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