4.7.2014
Wieder mal bringt mich ein Schiff zu neuen Ufern. Von den zwei Fährgesellschaften, die zwischen Wellington und der Südinsel Neuseelands operieren, wähle ich die günstigere, und brauche so
dreieinhalb Stunden für die Überfahrt auf die Südinsel Neuseelands. (Für mehr Geld geht es etwas schneller.)
Der Ankunftshafen von „Picton" liegt am Ende eines langen Fjords. Sie nennen das hier Sound (Sund). Die Princess Charlotte Sounds in denen man hier ankommt sind ein unglaublich eindrucksvoller
Empfang. Steile Felsen, kantige Klippen, dichte Wälder und idyllische Sandstrände bilden diesen zusammen mit den westlichen Milford Sounds zum UNESCO Weltnaturerbe erklärten Teil
Neuseelands.
Am DOC-Campingplatz (Department Of Conservation Campsite) in „Pelorus Bridge“ lerne ich Gina kennen, die mit ihren zwei 7 und 9 jährigen Söhnen Thomas und Sam, sowie deren beiden Freunden Tana
und Rotty ebenfalls hier für ein Wochenende zeltet und natürlich alle Hände voll zu tun hat. Sie bietet mir an, am nächsten Tag zum Abendessen zu ihnen nach Hause zu kommen, da sie genau eine
Tagesetappe weiter auf meiner Route wohnen.
Um zu ihrer Farm zu gelangen mache ich einen kleinen Abstecher von der Hauptstraße übers „Happy Valley“ in die „Delaware Bay“. Die Straße ist eine zwanzig Kilometer lange Sackgasse und
entsprechend dünn ist der Verkehr. Als ich zum Haus komme haben Sie schon fast alles aus dem Auto ausgeladen und Gina ist bereits beim Vorbereiten des Abendessens. Robby, der Vater der beiden
Freunde, ist auch schon zum Abholen gekommen und ich geselle mich zu ihm auf die Terrasse, nachdem Gina meine Hilfe abgelehnt und mich quasi aus der Küche verbannt hat.
Robby kommt aus West Samoa und lebt seit einigen Monaten allein mit seinen drei Söhnen. Sein Geld verdient er mit Schokoladenkeksen. Er hat eine eigene Manufaktur in Nelson aufgebaut, die nun,
nach zwei Jahren, anfängt zu florieren. Er hat nun mehrere Füße in diversen Türen und muss schon über Expansion und Angestellte nachdenken. Auch die Kinder mögen seine Cookies und wenn das
Gespräch am Esstisch darauf kommt, hört man sie konstatieren: „Robbies Cookies are the very best in the world!“
Wir reden viel über Politik und Musik. Er ist ein sehr aufmerksamer, interessierter und kritischer Zeitgenosse, der mir ziemlich anschaulich die politische, wirtschaftliche und ökologische Lage
Neuseelands erklärt. Gerade was die Ökologie angeht, hält er das allgemeine Klischee von der grünen Insel, für eine Lüge. Durch die Profitmaximierung in allen Produktionssparten wird das
Land vielmehr nach und nach ausgesaugt und vergiftet. Einerseits die exzessive Tierzucht auf den Weiden, die die Wasserqualität der Flüsse mehr und mehr mindert, andererseits die geplanten
Offshore-Ölbohrpläne der derzeitigen Regierung und schließlich die allgemeine Rückständigkeit, was alternative Energien betrifft, untergraben nach und nach das Image vom „Green New
Zealand“. Weiterhin erfahre ich, dass immer mehr große Farmen und auch Weingüter an ausländische, meist chinesische Investoren verkauft werden, die sich natürlich weniger der Nachhaltigkeit und
der Ökologie, sondern vielmehr der Produktivität und dem Profit verschreiben. Alles in allem scheinen sich da gerade einige Konflikte auf eine kritische Stufe hochzukochen.
Von Nelson aus folge ich dem „Great Taste Trail“ nach Norden. Wieder mal ein Radweg, der größtenteils abseits herkömmlicher Straßen verläuft. Nach der Küste der „Tasman Bay“, die mit ihrer
geringen Tiefe und dem Spiel der Gezeiten etwas von unserem Wattenmeer hat, komme ich erst durch dichte Kiefernwälder, setze dann bei „Mapua" mit einer speziellen am Strand anlegenden Fähre mit
brettflachem Kiel von „Rabbitt Island“ wieder auf’s Festland über, um auf Dämmen und Feldwegen im bergigen Hinterland irgendwann nach „Motueka“ zu gelangen.
Von dort aus nehme ich abends noch den „Takaka Hill Pass“, der mit 800 Höhenmetern und einer relativ schmalen und steilen Fahrbahn, noch eine echte abendliche Herausforderung darstellt.
Ich habe es etwas eilig, da ich für den nächsten Tag in Collingwood mal wieder mit einem warmshowers.org-Gastgeber verabredet bin. Nach einer angenehm kühlen Nacht kurz vor der Passhöhe rolle ich
am nächsten Morgen den Pass hinunter in die „Golden Bay“, esse zu Mittag in „Takaka“, dem Hauptort der Gegend, und komme schließlich am Nachmittag in Collingwood an. Der Ort ist winzig, liegt
aber direkt an der Mündung des „Aorere Rivers" in die Bucht und ist umgeben von einer atmosphärischen Weite.
Femke ist Lehrerin im Ort und arbeitet zur Zeit noch befristet als Schwangershaftsvertretung. Sie hofft, daß sie ihren Vertrag im nächsten Jahr verlängern kann, da sie sich in dieser relativ
abgeschiedenen Ecke Neuseelands eigentlich sehr wohl fühlt. Sie hat einige Jahre in Santiago de Chile gearbeitet und mit dem Fahrrad u.a. Südostasien bereist.
Etwas merkwürdig ist ihr Mitbewohner und Kollege. Außer einem kurzen rhetorischen „How’s it going?“ (Wie geht’s?) entnehme ich seinen Lippen in den folgenden Stunden kein weiteres Wort, obwohl er
auch Gitarre spielt und aktiv Musik macht. Femke versucht drüber noch eine Brückez zu bauen aber jedem Blickkontakt weicht er konsequent aus. Eine seltsame Atmosphäre, die ich nicht unbedingt
noch einen weiteren Tag ertragen möchte.
Aber Femke hat sowieso einige gute Tipps für die Umgebung und so rolle ich am nächsten Tag mittags gen Norden und fahre sozusagen ans Nordkapp der Südinsel zu einer etwa 40 Kilometer langen
Sandbank namens „Farewell Spit“ und übernachte am „Wharariki Beach“,
wo man neben jeder Menge durchlöcherter Charakterfelsen („ArchwayIslands“), gigantischen Dünen und endlos langen Sandstränden zu dieser Jahreszeit auch junge Robben aus unmittelbarer Nähe beim
Planschen beobachten kann. Es sind etwa zwölf kleine und zu Beginn meiner Anwesenheit noch ein Elternpaar in einem kleinen Naturpool, den die Ebbe zurückgelassen hat.
Die Robbenjungen tollen wie kleine Kinder durchs Wasser, kämpfen spielerisch über und unter Wasser und man selbst steht knapp einen Meter daneben, leicht erhöht auf einem Riff und kann sich nur
schwer von dem turbulenten und agilen Treiben lösen. Jetzt wird mir schlagartig bewußt, warum alle Leute, die mir auf dem Weg zum Strand entgegenkamen, so gute Laune hatten und ein breites
Lächeln im Gesicht. Auch ich spüre die positiven Vibrationen dieses Schauspiels noch am nächsten Morgen.
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