4.6. Wanganui und der Süden der Nordinsel

27.6.2014

An einem Montag morgen breche ich bei grauem Wetter nach Wanganui auf. Die anderen machen sich noch mit etwas Farbe über eine der Hauswände her und stapeln das am Vortag gelieferte Feuerholz unter dem Vordach, bevor sie nach Taupo zurückkehren. Gegen Mittag kommt bereits wieder die Sonne raus und ich schlage mich, wieder mal auf Nebenstrecken, zur „Wanganui River Road“ durch. Und erneut bestätigt sich die exzellente Auswahl der Routen im Cycletrail-Buch. Die enge Straße führt entlang des „Wanganui Rivers“ durch eine malerische Urwaldflora mit zahlreichen Steilwänden, idyllischen Flusswindungen und einigen kleinen und isoliert gelegenen Dörfern, die Athen, London oder Jerusalem heißen, um dann im gleichnamigen Küstenort Wanganui zu enden.
Dies ist ein sehr sympathisches und liebevoll gepflegtes Städtchen, dass mit jeder Menge kleiner und größerer architektonischer und historischer Leckerbissen aufwartet. Neben
der malerischen Victoria Avenue, dem Opernhaus, einer Kunsthalle, jeder Menge Grünanlagen und Parks
ist der unterirdische Fahrstuhl zum „Drurie Hill“ eine besondere Einmaligkeit. In der knapp neunzig Jahre alten Fahrstuhlkabine, die man durch einen etwa hundertundfünfzig Meter langen Tunnel erreicht, wird man für kleines Geld vierzig Meter senkrecht auf den Hügel befördert wo dann wiederum zwei verschieden hohe Aussichtstürme einen herrlichen Panoramablick über die Gegend bieten.
Ich nutze die Tatsache, daß der Aufzug auch Fahrräder befördert, spare den steilen Anstieg vom Flussufer und setze meine Fahrt dann oben vom Hügel aus ins Hinterland fort. (Ebenfalls ein Tipp aus dem Radwegebuch!)
Durch eher dünn besiedeltes Farmland geht es dann nach Palmerston North, das einerseits modern, andererseits aber auch sehr zusammengewürfelt daherkommt. Die etwas konfuse Anlage des großen zentralen Platzes mit dem bezeichnenden Namen "The Square" ist dabei symptomatisch für die insgesamt breitflächige Zersiedelung dieses Mittelzentrums, dem es ansonsten an nichts fehlt. Wahrscheinlich sehe ich das einfach zu Eurozentrisch.

Um nicht auf dem „Highway One“ zu landen, überquere ich dann einen kleinen Gebirgszug und gelange durch ein langes Tal über „Eketahuna“ nach „Masterton" und schließlich an die Südküste der Nordinsel. Wellington liegt jetzt bloß noch zwei Buchten weiter westlich. Leider ist diesmal der Vorschlag im Radwegebuch stark beschönigt. Je weiter ich an der Küste auf einer schmalen Farmpiste entlangfahre, desto schlimmer wird deren Zustand. Nachdem ich die letzten Allradfahrzeuge hinter mir gelassen habe komme ich in immer sandigere Zonen, die nicht ohne kraftraubendes Schieben zu bewältigen sind. Irgendwann muß ich dann das gesamte Rad abpacken, um durch ein kleines Loch in einem zugeschweißten Metallgittertor zu schlüpfen. Spätestens jetzt weiß ich, hier bin ich ganz allein. Für die nächsten sechs Kilometer bis zum Asphalt brauche ich geschlagene drei Stunden. Nach dem Sand kommen grobes Geröll, mehrere Furten und immer wieder sehr steile kurze Abschnitte. Eigentlich hatte ich mit einem lockeren 50 Kilometer Tag bis Wellington gerechnet. Umso zermürbender ist dann das ganze Geschiebe und Geholpere. Ich lasse mich sogar noch zu einer kleinen Wanderung zu einer Kolonie von Seehunden hinreißen, die, wie ich später erfahre, zu dieser Jahreszeit aber sowieso nicht zu Hause sind.
Die letzten Kilometer bis zur Hauptstadt Wellington geht, es dann nach dem Ort „Wainuiomata“  auf einer kleinen Passstraße über die Rimutaka Range, von der aus man einen eindrucksvollen Blick über den "Wellington Harbor", einer geräumigen Naturhafenbucht hat.

Ich telefoniere mit Abby, einer Freundin von Fiona, die mir einen Platz auf ihrer WG-Couch angeboten hat, und kündige mich für den Abend an.