Aus Auckland suche ich mir dieses mal den Weg nach Süden und da es wieder mal ein Sonntag ist nehme ich die „Great Southern Road“, die historische Ausfallstrasse, und komme einigermaßen beschaulich
aus der urbanen Zone. Relativ schlagartig finde ich mich dann auf dem Land wieder. Nach Pukekohe komme ich in das Städtchen Tuakau, wo Sir Edmund Hillary, einer der beiden Erstbesteiger des Mount
Everest, einige Jahre seiner Jugend verbrachte. Eigentlich nicht gerade eine bemerkenswerte Tatsache - hier in der vergleichsweise jungen, neuen Welt, immerhin Anlass einen Park nach ihm zu benennen
und in ihm einen Wegweisermast mit Hillarys wichtigsten geographischen Punkten zu errichten. Wenigstens hat man auf die sonst üblichen Kilometerentfernungen auf den Schildern verzichtet. Das mag
allerdings auch daran liegen, dass von hier aus etwa 95% der Landmassen auf der Erde sowieso unglaublich weit entfernt sind. Da es hier in der Gegend keinen Campsite gibt mache ich mich auf die Suche
nach einer „natürlichen“ Zeltstelle. Nach einer kurzen Abfahrt gelange ich das „Les Beltin Reserve“, eine Day-Use-Area für Wassersportler. Die harmonische Lage am Flussufer mit den weitläufigen
Rasenflächen und einigen kleinen Nischen im Buschwerk bietet sich geradezu als Zeltplatz an. Auch wenn das Areal nach Sonnenuntergang geschlossen wird, kann ich mich mit dem Rad leicht in eine der
Nischen flüchten und unbehelligt mein Zelt aufschlagen. Vorher beobachte ich noch die Wassersportler mit ihren diversen schwimmenden Untersätzen. Der einzig unmotorisierte darunter ist ein stramm
aufgeblasener Autoreifenschlauch. Und da der nun mal nicht von allein fährt läßt man sich von einem Motorboot wie beim Wasserski ziehen. Die Boote variieren von der dicken Motoryacht bis zu den
kleinen aber unglaublich schnellen und wendigen Jetskis, die während der Fahrt eine bis zu zehn Meter hohe Wasserfontaine hinter sich spucken. Kayaks, Kanus, Ruder- oder Segelboote sucht man hier
vergebens. Und damit manifestiert sich auch ein grundsätzliches Problem der Kiwis. Man verbringt gerade im Sommer sehr viel Zeit in der Natur, allerdings meist motorisiert und mit dem halben Hausrat.
Pete erklärt mir später, dass die Mountainbikerszene diese motorfixierten Leute gerne mit dem Begriff „Petrolheads“ (Benzinköpfe) verunglimpft. Am nächsten Tag, einem Montag, komme ich auf etwa 100km
durch gerade mal drei Orte. Keiner davon hat einen Laden und die heißen Quellen, die ich nachmittags ansteuere, sind wegen technischer Mängel geschlossen worden. Nach einem Bier im nahen Pub, wo ich
den Superbowl, der in New York am Sonntag Abend stattfindet, live am Montag nachmittag verfolgen kann, hänge dann doch noch zwanzig Kilometer dran und erreiche Raglan, den neuseeländischen Surferort.
Hier wird sich natürlich ummotorisiert betätigt und neben den Surfboards sind vor allem die Paraglider beliebte Bewegungshilfen. Ansonsten macht der Ort seinem Ruf alle Ehre. Coole junge Traveller
quetschen sich abends in Backpackerunterkünfte oder schlafen in ihren Autos auf dem absolut charakterlosen Campsite. Es gibt sicherlich versteckte Winkel, wo man dem Trubel etwas entgehen kann, ich
beschließe jedoch, mich nicht auf die Suche zu machen und so geht es am nächsten Tag gleich weiter. Mein Radwegebuch hat mich bis hier auf idyllischen Nebenstraßen gelotst. Aus Versehen folge ich
dann etwas zu lange der Küstenstraße und entscheide mich, nicht umzukehren, als ich meinen Fehler fünf Kilometer später bemerke, da meine Karte mir sagt, dass ich auf dieser Route auch zum Ziel
komme. Die Folge ist allerdings eine stetig schlechter werdende Schotterpiste, die mit immer höheren und steileren Bergprofilen aufwartet. Belohnt werde ich andererseits durch atemberaubende
Ausblicke, dramatisch gelegene Farmen und eine Verkehrsdichte, die ans isländische Hochland erinnert. Nach drei Stunden „Umweg“ erreiche ich wieder die empfohlene Radroute doch die Freude währt nicht
lange. Die letzten 30 Kilometer sind frisch aufgeschotterte Piste und das in einer besonders tückischen Weise. Alles ist knochentrocken und die pflaumengroßen Steinchen so leicht und unstabil, daß
ich jederzeit damit rechnen muss seitlich abzurutschen. Ohne Sturz komme ich spät abends nach „Kawhia“, einen kleinen Hafenort, der so ziemlich genau das Gegenteil von Raglan ist. Tourismus spielt
hier nur eine Nebenrolle und entsprechend viel Atmosphäre und Charakter hat nicht nur der Ort, sondern auch der zentral gelegene Campingplatz. „Kawhia“ liegt am südlichsten der zahlreichen Naturhäfen
der Nordinsel. Die Tide spielt eine große Rolle für die Boote, bestimmt aber auch das Erscheinungsbild. Zwischen grauen Watt- und welligen Wasserflächen liegen hier nur ein paar Stunden. Ein riesiger
Fjord läuft einfach aus und füllt sich dann wieder langsam durch ein Geflecht von Rinnen und Prilen. Von der Küste verabschiede ich mich dann ins Landesinnere. Von den Waitomo Caves, wo ich Ralf und
Jacky Winter treffe, ein kanadisches Radler-Paar, dass gerade seine Weltreise gestartet hat. (www.winterrides.com) gelange ich nach „Te Kuiti“, der „Schafschur-Welthauptstadt“ - sicherlich eine der
typischen Kiwiübertreibungen - und schlage mich von dort wieder mal auf einem der größeren Highways durch. Mein Ziel ist der sogenannte „Timbertrail“. Ebenfalls eine Empfehlung meines Radbuches,
handelt es sich diesmal aber um einen ausgesprochenen Rad- und Wanderweg. Er ist erst vor einem Jahr eröffnet worden und bietet als Highlights mehrere Hängebrücken mit bis zu 140 Meter Spannweite.
Ich fahre abends noch etwa zwanzig Kilometer auf dem Trail und begegne keinem Menschen. Zu Beginn läuft der Weg auf einer ehemaligen Eisenbahntrasse, die für den Holztransport aus den Hochwäldern
angelegt worden war.. Langsam und stetig schlängele ich mich durch den Dschungel in die Berge. Eine Besonderheit ist eine kreisrunde Schleife, bei der die Gleise im Berg mit Hilfe eines Tunnels eine
fast 360 Graddrehung machen um schließlich auf einer kleinen Brücke die ursprüngliche Strecke zu überqueren, um etwa zehn Meter höher in die vorherige Richtung fortfahren zu können. Ich übernachte in
einer kleinen offenen Holzhütte am Wegesrand und erreiche am nächsten Vormittag die längste der Hängebrücken und den einzigen offiziellen Campsite in der Trailmitte. Ich treffe immer mehr Radler und
auch ein paar Wanderer, aber alle kommen aus der Gegenrichtung. Manche schauen etwas skeptisch auf meine Packtaschen und nach einigen kleinen Smalltalks am Wegesrand weiß ich, dass man diesen Track
eigentlich nur von Ost nach West fährt und nicht, wie ich, umgekehrt. Den Grund dafür bekomme ich dann am Mittag zu spüren, als die Bahntrasse einem Waldpfad weicht. Die Piste wird teilweise sehr
steil und technisch anspruchsvoll und die Tatsache, dass ich ständig mit Gegenverkehr rechnen muss, der mich aus meiner Richtung wiederum nicht erwartet, macht das Ganze zu einer ziemlichen
Konzentrationsübung. Jede enge Windung ist eine potentielle Unfallstelle. Trotzdem kann ich das eindrucksvolle Naturerlebnis voll und ganz genießen. Wo kann man sonst schon mal gute 80 Kilometer
abseits aller Straßen durch dichtesten Regenwald fahren?
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ulla (Montag, 16 Juni 2014 11:38)
Hi, schön das es jetzt wieder klappt mit dem Block, habe schon die Bilder vermisst.