3.13. "Ushuaia" und das Ende der Welt ("El Fin Del Mundo")

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Die gut hundert Kilometer nach "Ushuaia", verteilen sich bei mir auf zwei Etappen, da ich erst gegen nachmittag losfahre. Dies hat zwei Gründe. Einerseits den durchgehend plätschernden Regen, den ich im Gastraum der Panaderia bei Kaffee, Gebäck und WiFi abwarte, und andererseits das Eintreffen von Tony. Ich hätte jetzt eigentlich gar nicht mehr erwartet, Betty und Tony noch mal zu treffen, da ich bereits an Weihnachten eine Schneefall & Hagel Mail von Betty aus "Ushuaia" erhalten hatte und sie jetzt, zwei Wochen später, schon ganz woanders vermutet hätte. Natürlich gibt es wieder einiges zu erzählen und bei dem graunassen Wetter ist ein netter Kaffeeplausch ja wohl das beste was einem passieren kann. Betty bevorzugt derweil die Ruhe und Abgeschiedenheit im IVECO-Mobil. Ich besuche sie noch kurz bevor ich aus "Tolhuin" losfahre.
Das Wetter hellt merklich auf und der Regen hat schon vor einiger Zeit aufgehört. Trotzdem erwischt mich dann nach etwa dreißig Minuten eine schwarze Wolkenbank und macht mich gründlich nass. Die Krönung bildet dann noch ein zehnminütiges Hagelintermezzo erbsengroßer Körnung, daß ich dann aber unter einer Baumgruppe vorbeiziehen lasse.
Danach öffnet sich wieder mal eines der blauen Himmelslöcher und bei Sonnenschein und stärker werdendem Wind, bin ich nach 15 Minuten wieder trocken. Die Straße führt bei anschwellendem Gegenwind zuerst entlang des "Lago Fangano" und später am kleineren "Lago Escondido".  Nun muß ich noch den "Paso Garibaldi", einen Bergpass der ins Nachbartal nach Ushuaia führt, rauf. Ich bin gewarnt, daß hier oft übelstes Wetter herrscht und Schnee und Hagel neben heftigen Winden an der Tagesordnung sind.
Aber wieder mal habe ich Glück mit dem Wetter und riskiere sogar oben am Pass eine Übernachtung, da es wirklich ein wunderschöner Abend in den Bergen ist und ich am Pass-Sattel einen schönen Zeltplatz weit weg von der Straße finde.
Das Wetter hält und am nächsten Morgen nehme ich mir noch Zeit für eine kleine Wanderung bevor ich runter in's Tal rausche und die letzten fünfzig Kilometer bis "Ushua strampele. Immer wieder wird mir von entgegenkommenden Autos und an der Straße stehenden Menschen mit Gesten und Worten Respekt gezollt. Jeder hier weiß, das jemand, der mit dem Rad nach Ushuaia fährt, mehrere tausend Kilometer hinter sich hat. Das reicht von den 18.000 Kilometern der in Alaska Gestarteten bis zu den guten 2.500 der "Carretera Austral"-Fahrer. In meinem Falle sind es von "Santiago de Chile" etwa 4.200 Kilometer. 

Ich komme an jeder Menge Skistationen vorbei und sogar an zwei Huskyfarmen. Die Hunde werden hier für die Antarktisexpeditionen gezüchtet, die häufig von "Ushuaia" aus, an der Südseite Feuerlands, in See stechen. Dabei haben die hiesigen Hundezüchter durch das Kreuzen von grönländischen und sibirischen Huskies quasi eine neue Spezies geschaffen.

"Ushuaia" bietet dann wirklich einen relativ gigantischen Anblick. Durch die Hanglage wirkt der Ort wesentlich größer als all die letzten Orte auf dem flachen Land, da man wesentlich mehr davon sieht. Allein die Hafengegend ist, mit all den Industrieansiedlungen dahinter, flächendeckend. Gegenüber "Rio Grande" ist hier aber kaum Leerstand wahrzunehmen. Auch die Stadt, die sich langsam in die bewaldeten Hänge frißt, ist sehr komprimiert und voller Aktivität und Leben. Im Downtown-Bereich spielt der Tourismus die Hauptrolle, in den deutlich umfangreicheren Vorstadtbereichen jedoch, gibt das übliche alltägliche Treiben der Einheimischen den Ton an.

Der Campingplatz liegt oberhalb der Stadt an der Basisstation einer ausgemusterten Skipiste. Ich habe unglaublichen Dusel mit meinem Zeltplatz, da es für den großen Andrang, vergleichsweise wenig Fläche gibt. Mir wird ein kleiner Platz auf einer Grasstufe in der letzten Ecke des Areals zugewiesen. Der Vorteil: ich habe meine Ruhe und durch die geringe becampbare Fläche passt auch kein weiteres Zelt mehr neben meines. Die anderen Plätze werden in Spitzenzeiten teilweise mit bis zu vier Zelten, quasi Wand an Wand belegt. Da ich hier für vier Nächte bleiben werde ist die Situation für mich also krisensicher.   

Es ist übrigens erstaunlich wie viele Radfahrer tatsächlich von hier aus "gegen den Wind" starten. Schon in den letzten Tagen vor "Ushuaia" treffe ich jede Menge Gruppen die mir entgegenkommen. Einige davon wissen Bescheid, da sie bereits von Norden kamen und nun auf dem Weg entlang der argentinischen Atlantikküste sind. Auf dieser Route sind die Gegenwindtage dann sicherlich gezählt. Bei den Ahnungslosen lasse ich es mir nicht nehmen, sie schon mal darauf einzustellen, daß es sehr zermürbend werden kann und man durchaus den "Daumen raushalten" oder den Bus nehmen kann. Am Campsite sind dann natürlich noch einige andere, die, wie ich, hier ihr Ziel erreicht haben. Es ist natürlich sehr interessant, sich über die verschiedenen Erlebnisse an den gleichen bereisten Orten auszutauschen. Von Christoph und Johannes, zwei jungen deutschen Mountainbikern mit Minimalgepäck, und einem sehr sympathischen Slowenischen Paar erfahre ich, daß die Fähre in "Villa O'Higgins" nicht am 21. Dezember, sondern erst wieder an Heiligabend in Betrieb gegangen ist. Genaugenommen gab es wohl eine Fahrt am 21., die aber wegen zu starken Windes abgebrochen wurde. Demnach werden also noch jede Menge Radler den "Paso Rio Mayer" genommen haben.

"Ushuaia" war ursprünglich nichts weiter als eine Strafkolonie für Schwerverbrecher. Später kam noch ein "normales" Gefängnis dazu und irgendwann entstand der Ort um diese Haftanstalten herum. Durch die Forstwirtschaft und kleine Manufakturen, denen die Insassen als billige Arbeitskräfte dienten, begann ein kleiner Handel. Eigentlich war der Ort jedoch mehr das Ende der Welt -"El Fin De Mundo", da es keine Straßenverbindung und auch nur wenig Schiffsverkehr gab. Die Handelsschiffe nahmen meist die Abkürzung über "Punta Arenas" durch die "Magellanstraße".
Entsprechend verrufen und schicksalhaft war dann auch der Ruf dieses Ortes und manche Verurteilten sprangen lieber mit ihren Fesseln über Bord und Ertranken, als in "Ushuaia" an Land gehen zu müssen.

In den alten Gefängnisbauten sind heute mehrere Museen untergebracht, die über die Stadtentwicklung und die Antarktisexpeditionen informieren. Daneben gibt es noch eine kleine Kunstsammlung mit patagonischen Motiven und moderne Kunstaustellungen, die sich meist um den Pinguin drehen. Der weitaus interessanteste Teil ist jedoch die Dokumentation über das Gefängnis samt Straflager sowie eine Ausstellung über die berüchtigtsten Gefängnisse dieser Erde.

Am Tag vor meiner Abreise per Flugzeug fahre ich noch die letzten 25 Kilometer der "Ruta 3" bis nach "Bahia Lapataia". Dort befand sich ein Außenposten der Strafkolonie und um das Holz leichter zu den Schiffen transportieren zu können, wurde in dieser Gegend von den Gefangenen die südlichste Bahnlinie der Welt errichtet, deren kleine Dampflokomotive heute Touristen auf den schmalen Gleisen ans Ende der Welt befördert. "El Tren del Fin del Mundo". (Der Zug an's Ende der Welt.) 
Ich treffe dort Martin, einen polnischen Radler, der dort im Nationalpark zeltet und mir Mate anbietet. Das ist nicht bloß ein Aufgussgetränk, sondern ein Ritual. Der Gastgeber füllt ein "Kalebasse" genanntes Gefäß, daß ursprünglich aus einem ausgehöhlten, getrockneten Kürbis hergestellt wurde, heute aber meist aus Holz besteht, mit den trockenen Mateblättern und steckt die "Bombilla", ein metallenes Trinkrohr mit Sieb, hinein. Dann gießt er heißes Wasser darüber und reicht es dem Gast. Dieser trinkt dann aus und gibt es dem Gastgeber zurück, der dann wiederum Wasser zugibt und so einen Aufguss für sich selbst zubereitet. Das geht dann so mehrmals hin und her. Es ist beim Trinken übrigens nicht üblich mit der Bombilla umzurühren, auch wenn die Versuchung natürlich naheligt. (Genaueres hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Mate-Strauch)

Martin erzählt, daß am Vortag ein Fuchs ein Loch in sein Zelt gerissen hat, da die Mate dort drin war. Einem kanadischen Paar hat er das Zelt weitestgehend zerstört, woraufhin sie es kurzerhand weggeschmissen haben. Martin hat dann Teile davon benutzt um sein Zelt zu flicken.

Und als wir so bei der Mate sitzen, kommt der Fuchs, ein wirkliches prächtiges Exemplar, vorbei, wirft einen kurzen Seitenblick zu uns herüber und trottet seelenruhig von dannen. Ich erwische ihn gerade noch von hinten mit meiner Kamera und Martin meint leicht säuerlich: "This Bastard!".

 

Die Straße am "Lago Fangano"
Die Straße am "Lago Fangano"
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Nach dem Schauer
Nach dem Schauer
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"Lago Encondido"
"Lago Encondido"
Der "Paso Garibaldi"
Der "Paso Garibaldi"
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Spatzen im Unterholz
Spatzen im Unterholz
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Blick ins Nebental
Blick ins Nebental
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Huskyfarm
Huskyfarm
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"Ushuaia"
"Ushuaia"
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... Küken
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Hunde kicken mit
Hunde kicken mit
Gefängnis
Gefängnis
Zelle mit "Carlos Gardel" Portrait
Zelle mit "Carlos Gardel" Portrait
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"Pinguine"
"Pinguine"
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die alten Dampfloks
die alten Dampfloks
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In Richtung "Bahia Lapataia"
In Richtung "Bahia Lapataia"
"El Tren Del Fin Del Mundo"
"El Tren Del Fin Del Mundo"
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Regenwald
Regenwald
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Misteln
Misteln
eßbare Baumpilze
eßbare Baumpilze
Martin
Martin
der Fuchs
der Fuchs

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Kommentare: 2
  • #1

    Georg (Donnerstag, 16 Januar 2014 23:43)

    Hallo Michael
    hast du dein Fahrrad wieder??
    Es ist ziemlich entspannt auf der Coromandel.
    Lg Andrea u Georg

  • #2

    Michael (Freitag, 17 Januar 2014 04:38)

    Hallo Andrea, hallo Georg,
    noch habe ich es nicht, aber heute Abend gegen sechs soll es am Campsite eintreffen. Ich bin gespannt. Habe schon einige Szenarien durchgespielt.
    Wenn alles gut geht fahre ich dann morgen oder spätestens am Sonntag los.
    Hier ist gerade "Big Day Out" eine Open-Air-Veranstaltung mit einigen namhaften Bands, weshalb Auckland gerade etwas sydneymäßig überquillt. Aber es geht noch.

    Viele Grüße
    Michael

    ps:. Schreibt doch mal 'ne kurze eMail an ernst.micha(at)gmail.com, dann habe ich euren Kontakt auch. Und falls wir uns vorher nicht mehr "sprechen", viel Glück bei der WM!