3.12. "Tierra del Fuego" - Feuerland

...

An Sylvester nehme ich also die Fähre über die Magellanstraße nach "Porvenir" (Die spanische Bedeutung ist: Zukunft) auf "Tierra del Fuego" (Feuerland). Diese Insel trägt ihren Namen lediglich auf Grund der zahlreichen Lagerfeuer der Eingeborenen, die Ferdinand Magellan bei seinem Entlangsegeln hier gesichtet hat. Es ist nicht mal erwiesen, ob er jemals einen Fuß an Land gesetzt hat. Jedenfalls gibt es hier außnahmsweise mal keine aktiven Vulkane, sondern vielmehr skandinavische Kälte und Wind und entsprechend lange Tage. Alles in allem fühlt es sich hier sehr an wie auf Island. Auch die Bäume haben sich in den letzten Tagen verabschiedet.

Die Nacht zum neuen Jahr in Porvenir ist sehr unspektakulär. Einerseits bekomme ich im "Restaurante Puerto Montt" als einziger Gast noch ein Fischfilet mit Salat serviert, andererseits scheinen die Feierlichkeiten eher privat organisiert zu sein. Als ich um 24 Uhr, es ist gerade richtig dunkel geworden, um die Blöcke ziehe sehe ich jedenfalls keinen einzigen Feuerwerkskörper am Himmel. Die Leute sitzen alle in ihren Häusern und feiern kleine Feten, die aber erst gegen elf Uhr beginnen und auf denen jede Menge gegessen wird. Das zieht sich dann bis zum Sonnenaufgang.

Am nächsten Morgen treffe ich "JiPi" und "Elodie" aus Nantes beim Frühstück. Außer uns ist das Hostal verwaist. Selbst die Gastronomen scheinen noch im Bett zu liegen. Jedenfalls stehen Gebäck und Belag eingepackt in Zelophanfolie auf einem Tisch in der Ecke. Eine Thermoskanne mit heißem Wasser ermöglicht uns das Kredenzen eines, wie so oft, löslichen Kaffees. Alternativ findet sich eine Auswahl an Teebeuteln. Leider sind die Mengen recht knapp bemessen und mangels Ansprechpartner läßt sich auch kaum ein Nachschlag einfordern. Kurzerhand stocken wir die Tafel mit unseren eigenen Vorräten auf. Die Aufmerksamkeit des Hauses besteht zu Neujahr übrigens aus einer Scheibe Gewürzkuchen, wie er hier schon seit Weihnachten überall angeboten wird. Lecker!

Bei heftigem Seitenwind mache ich mich auf die Piste, die erst nach zwanzig Kilometern schnurgerade nach Westen führen wird. Ab dann wird mich der Wind für weitere 140 Kilometer bis zur anderen Seite der Insel schieben. Doch die zwanzig Kilometer haben's ganz schön in sich. Neben dem Wind ist es auch noch etwas bergig und die letzten Kilometer vor dem Knick geht es direkt am Meer entlang, wo der Wind unerbittlich auf mich eindrischt. Es sind malerische Bilder am Strand mit all den Fischerhütten, den sturmbedingten "white caps" auf dem Wasser und ich frage mich, wie die Menschen früher mit Ruder- oder Segelbooten bei so einem Wind überhaupt auf's Meer kamen. Wahrscheinlich gar nicht?!

 

Eine Königspinguinkolonie in der Nähe von "Onaisin" muß ich wegen heftigen Gegenwinds und mangels Beschilderung streichen. Ich kämpfe mich noch fünf Kilometer gegen eine Windwand bis zu einem Bauernhof. Als ich versuche nach dem Weg zu fragen, stellt sich heraus, daß die gesamte Farm verwaist ist. Es ist eigentlich nur noch ein Denkmal. Ich fahre noch etwas weiter und finde eine Mulde um dem Wind etwas zu entgehen. Am nächsten Morgen merke ich, daß ich das Ganze irgendwie falsch geplant habe. Die Öffnungszeiten der Kolonie sind nämlich von 11 bis 18 Uhr. Daß heißt, selbst wenn ich den Ort jetzt finden würde, müsste ich noch einige Stunden warten, bevor sie öffnen. Also beschließe ich in Richtung argentinische Grenze durchzurauschen und eventuell noch eine andere Pinguinbegegnung haben zu können.

Später in "Ushuaia" werde ich von einem netten slovenischen Biologen-Paar erfahren, daß die Kolonie noch zehn Kilometer weiter südlich ist, man aber dort zelten kann und das ganz in der Nähe der "Kingpins". Schade also - schlechtes Timing.

Nach den beiden Grenzorten, die etwa zehn Kilometer auseinanderliegen, jeweils nur aus Grenzgebäuden, einem Hotel und einigen Imbißbuden bestehen, aber beide "San Sebastian" heißen, erblicke ich den atlantischen Ozean wieder. Durch den starken landseitigen Wind wirkt er wie ein großer stiller See, da er kaum Brandung entwickelt. Das ändert sich aber in auf dem Weg nach Süden.
Da der Wind immer weiter von Westen weht und an der Küste dann sogar noch auf Südwest dreht gibt es nachmittags noch mal richtig was zu tun. Die Reisegeschwindigkeit, die vormittags noch bei über 20km/h lag, sackt immer mehr ab. Abends fahre ich noch einen 12er Schnitt und hülle meinen Kopf in Mütze und Kapuze um etwas Ruhe zu haben. Die Lautstärke eines konstanten Gegenwinds kann ganz schön aggressiv machen. Vor allem wenn er Stunden vorher noch von hinten kam. Das ist wie der Nachbar, der plötzlich bei geöffneten Fenstern die Musik aufdreht.

Ich verabschiede mich von dem Plan noch den nächsten Ort "Rio Grande" zu erreichen und finde eine schöne windgeschützte Ecke unter zwei Brücken am "Rio Chico". Es ist windstill, es gibt jede Menge schöne Grasflächen und es gibt einige Pfützen, über die ich mich noch kurz wundere, aber ich finde eine ebene und trockene Stelle. Ich baue auf, koche und esse und bemerke, daß der kleine Fluß immer lauter wird. Als ich mich dann mal aus dem Zelt bequeme und nachsehe, fließt er bereits landeinwärts und schlagartig erklären sich mir die Pfützen um mein Zelt. Es sind die Gezeiten des Atlantiks, die hier zweimal täglich alles unter Wasser setzen und sich zwischendrin wieder verziehen. Noch etwa zehn Zentimeter habe ich um alle meine Sachen zu packen und das Zelt auf eine höhere Position zu bringen. Glücklicherweise hat der Sturm irgendwann einfach aufgehört. Es ist eine stiller Abend. Mit dem letzten Licht der Dämmerung werde ich mit meinen Umbaumaßnahmen fertig und liege wieder im Zelt. Aber irgendwie traue ich dem Braten nicht, da ich nur schwer abschätzen kann, wie weit das Wasser noch steigen wird. Man sieht keine Ränder oder Ablagerungen. Gegen zwölf, ich war kurz eingenickt, werfe ich mal wieder einen Kontrollblick nach draußen und tatsächlich kommt das Wasser schon an die ersten zwei Zeltheringe. Die stecken aber in einer Mulde und der Fluß scheint jetzt zu stillzustehen. Also kann ich beruhigt schlafen gehen. Das war sozusagen Maßarbeit.

"Rio Grande" ist ein unglaublich stark expandierter Ort. Sowohl am nördlichen Eingang, wie auch am westlichen Ausgang der Stadt erstrecken sich schier endlose Industriegebiete, die allerdings einen gewissen morbiden Hauch von Wirtschaftskrise verströmen. Einerseits gibt es jede Menge Leerstand, andererseits unfertige Bauruinen und zwischendrin manchmal das ein oder andere tatsächlich aktive Gewerbe.
Die Ursache dieser Auswüchse ist die Tatsache, daß man sich in den 70ern entschied den argentinischen Teil von Feuerland zur Sonderwirtschaftszone zu erklären. Das führte in den drei Städten "Rio Grande", "Ushuaia" und "Tolhuin" zu einem unglaublichen Flächenwachstum. Es ging dabei sicherlich auch darum, den durch die Grenzziehung zu Chile abgeschnittenen Teil Argentiniens, wirtschaftlich zu stärken. Diese Grenze wurde vor Jahrhunderten mal in irgendeinem Vertrag als senkrechte Nord-Süd-Achse von einem gewissen Punkt aus festgelegt. Später stritt man sich dann lange darüber wo dieser Punkt ist.  Später deswegen, da sich für diesen Teil der Welt eigentlich lange keiner so recht interessierte bis man irgendwann Gold und dann auch noch Erdgas fand.
Im Zuge der Wirtschaftskrise in den 90ern mußten dann viele Betriebe schließen. In den letzten Jahren geht es wohl wieder leicht aufwärts, allerdings wirkt es in "Rio Grande" so, als wäre die alte Blüte nicht wieder zu erreichen, was sicherlich auch an der unbeschönigenden Nacktheit der flachen und baumlosen Umgebung liegt.

Ein sehr dunkler Punkt in der Geschichte Feuerlands ist von dem Rumänen "Julius Popper" geprägt. Er war Ingenieur und stark vom Goldrausch beflügelt. Schnell brachte er es zu einem kleinen Vermögen und einem großen Einfluß auf der abseits gelegenen Insel. Später hielt er sich als Minenbesitzer eine kleine Privatarmee, mit der er auf Wunsch der ansässiger Bauern, den Eingeborenenstämmen der "Selknam" und "Yaghan" den Garaus machte.
Der Grund für dieses nicht allzu bekannt gewordene Genozid, war einerseits das nach europäischen Normen "unangepasste" Jagd-Verhalten dieser Stämme - sie stellten den Schafen der Enstancieros nach wie den wilden Guanacos und sahen da keinen Unterschied, da der Eigentumsbegriff von ihnen anders verstanden wurde oder gar nicht existierte - und andererseits die komplizierte Territorialsituation für die Minenbetreiber und Goldschürfer, die nicht auch noch mit den Eingeborenen verhandeln wollten wenn sie ihre Claims absteckten. Es war somit einfach bequem und die unkomplizierteste Lösung, diese Leute schlichtweg zu beseitigen. Und das tat Herr Popper mit seinen Truppen. Es gab regelrechte Menschenjagden. Allgemein wurden Kopfgelder ausgesetzt. Als Beleg dienten dabei abgeschnittene Gliedmaßen und Skalps. Merkwürdigerweise werde ich später in Ushuaia im Museum einen kleinen Raum über Julius Popper, den Goldsucher und Minenbesitzer finden, wo von diesen Schandtaten keine Rede ist. Er starb übrigens mit 35 Jahren in einem Hotel in Buenos Aires. Gerüchte sagen, daß er ermordet wurde, was wiederum aufgrund seines Lebenswandels, nicht sehr unwahrscheinlich zu sein scheint.  

Nach diesem unerfreulichen Abschnitt, jetzt noch zu einer absoluten Besonderheit in der Ortschaft "Tolhuin". Der Ort liegt etwa 120 Kilometer südlich von "Rio Grande" und gute hundert Kilometer nord-östlich von "Ushuaia", quasi dem Ende der "Ruta Tres". Für uns Radfahrer sind das jeweils gute Tagesetappen und so ist es sehr erfreulich, daß in diesem Ort "Tolhuin" die Panaderia "La Union" von "Emilio Saez" existiert. Eine Panaderia ist hier üblicherweie eine Bäckerei, aber diese ist mehr eine Raststätte für viele Autofahrer und Busse. Es gibt einen riesigen Gastraum und eine Theke die über Eck läuft. Die eine Seite beinhaltet mehr das süße, die andere mehr das herzhafte Angebot.
Das besondere neben den wirklich leckeren Teigwaren ist jedoch das Angebot an Radfahrer in einem kleinen Raum zwischen Lager und Backstube kostenlos zu übernachten. Vom Lager geht es in ein Badezimmer mit Klo, Bidet, Waschbecken und warmer Dusche.
Die Frau in der Backstube winkt mich, der ich im Nieselregen ankomme, gleich mal auf die Seite und bedeuetet mir mit ein zwei Gesten wo ich mein Fahrrad einstellen kann. (Nämlich gleich zwischen die Mehlsäcke und die Eierkartons.) 
Drinnen steht bereits "Taka" ein sehr sympathischer Japaner mit einem großen Teller Empanadas in der Hand. Er ist schon einige Stunden länger hier und hat sich schon eingerichet. Bevor wir zusammen den Supermarkt erkunden, verzehren wir natürlich erst noch die ofenwarmen Empanadas. Eigentlich ist das Abendessen damit schon absolviert und der Einkauf fällt entsprechend magerer aus.

 

 

 

 

"Porvenir" auf Feuerland
"Porvenir" auf Feuerland
...
...
...
...
Feuerländische Feuerwehr a.D.
Feuerländische Feuerwehr a.D.
...
...
etwas spezielles "Hundekörbchen"
etwas spezielles "Hundekörbchen"
...
...
...
...
...
...
...
...
Selknam-Denkmal
Selknam-Denkmal
...
...
Mohn
Mohn
...
...
Auf der "Plaza des Armas"
Auf der "Plaza des Armas"
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
Bäume
Bäume
...
...
Sturm
Sturm
...
...
...
...
...
...
"Onaisin"
"Onaisin"
...
...
...
...
...
...
"San Sebastian" auf chilenischer Seite
"San Sebastian" auf chilenischer Seite
"umgewehter" Kleinlaster
"umgewehter" Kleinlaster
... "Las Malvinas" ist der argentinische Name für die "Falklandinseln"
... "Las Malvinas" ist der argentinische Name für die "Falklandinseln"
...
...
...
...
...
...
...
...
Zeltplatz am "Rio Chico"
Zeltplatz am "Rio Chico"
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
Salesianer Mission bei "Rio Grande"
Salesianer Mission bei "Rio Grande"
...
...
Atlantik
Atlantik
"Rio Grande"
"Rio Grande"
...
...
Falklanddenkmal
Falklanddenkmal
...
...
...
...
...
...
...
...
Wandfarben und Hund sind schon ausgesucht
Wandfarben und Hund sind schon ausgesucht
...
...
...
...
...
...
Alte Brücke über den "Rio Grande"
Alte Brücke über den "Rio Grande"
Neue Brücke ...
Neue Brücke ...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
...
In Schlafraum der Panaderia "La Union"
In Schlafraum der Panaderia "La Union"
...
...
Radler-Graffitis
Radler-Graffitis
...
...
...
...
"Tolhuin"
"Tolhuin"
...
...
...
...
Taka & ich
Taka & ich
Taka macht sich regenfertig
Taka macht sich regenfertig
Im Gastraum von "La Union"
Im Gastraum von "La Union"

Kommentar schreiben

Kommentare: 0