3.10. "Torres Del Paine" und "Puerto Natales" - Zwischen Pazifik und Atlantik

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Ich habe Glück mit dem Wind und werde zunächst fast hundert Kilometer asphaltierte Straße und nachmittags dann noch mal siebzig Kilometer Schotterpiste entlanggeblasen. Glück deswegen, weil an 90% der Tage ein kräftiger Westwind herrscht, nur heute kommt er mal aus Norden.
Abends zelte ich im Garten der Gendarmeria eines aus drei Häusern und einer Tankstelle bestehenden Ortes namens "Tapi Aike". Die Tanke hat bereits zu als ich ankomme, aber am nächsten morgen nehme ich dort natürlich meinen Frühstückskaffee bevor ich mich die nächsten Stunden mit einem heftigen Gegenwind in Richtung der chilenischen Grenze beschäftigen werde. (Morgens stand der Schalter plötzlich wieder auf Westwind!?) In dem Wissen, daß es nur für vierzig Kilometer so heftig ist, läßt sich so etwas ja mal ertragen. Die Radler, die ich aus der Gegenrichtung treffe, haben da aber schon ganz andere Phasen erlebt.
Vor der chilenischen Grenzstation mache ich bei höchst "bescheidenem" Wetter noch ein Picknick an der Straße, da ich, wie schon bei der ersten Einreise nach Chile, sonst all mein frisches Obst und Gemüse, sowie meinen Honig in die Abfalltonnen des Agrarministeriums entsorgen müsste. Also wird verzehrt was geht. Unglücklicherweise habe ich's mir dafür im Windschatten eines offenen Gatters gemütlich gemacht, welches aber nicht ohne Grund offen steht. Von weitem sehe ich schon die Kuhherde, die von drei Gauchos auf Pferden gezielt in Richtung dieser Öffnung getrieben wird. Als sie mich sehen, kommt einer im Galopp angerauscht und bedeutet mir, daß ich hier nicht bleiben kann, da sonst seine Rinder hier nicht durchwollen. Also packe ich meine Fressalien wieder in die Tüte und verziehe mich wie ein vertriebener Hund bei Nieselregen und Sturm an die nächstbeste Stelle am Straßenrand.
Im Grenzort "Cerro Castillo" gibt es dann nur einen kleinen superteuren Laden, dessen Auswahl an frischen Dingen sich auf verbeulte Äpfel, braune Karotten, sandige Kartoffeln und keimende Zwiebeln beschränkt. Nun gut, im Nationalpark "Torres Del Paine", den ich ansteuere, soll es ja auch einige teure Läden geben, denke ich mir. Später werde ich feststellen, daß dem zwar so ist, daß aber frische Dinge gar nicht in deren Angebot sind, da es logistisch für den Park zu aufwendig ist, sich mit verderblichen Lebensmitteln abzugeben. Bei einem Eintrittspreis von etwa 27,-Euro pro Person könnte man sowas allerdings schon erwarten, denke ich so nebenbei. Besonders wenn man die strengen chilenischen Einfuhrvorschriften an der nahen Grenze  bedenkt, die allen Reisenden "ein Bein stellen", die nicht zuerst in das 80 Kilometer südlich gelegene "Puerto Natales" fahren wollen, oder vielmehr können, um ihre Vorräte aufzustocken.

Im Park mache ich eine Tageswanderung zum "Mirador Las Torres", einem eindrucksvollen Fleck an einem Bergsee unterhalb der drei turmartigen fast dreitausend Meter hohen Felsnadeln. Beim Aufstieg treffe ich Flora und Brian, die mir entgegenkommen und bereits am zweiten Tag ihrer Wandertour sind. Meine zweite geplante Wanderung zum "Grey-Gletscher" schminke ich mir am nächsten morgen wegen dichter grauschwarzer Bewölkung ab und beschließe nach "Puerto Natales" weiterzufahren.

Also schlage ich mich wieder gegen den Wind aus dem Park und komme bis kurz vor mein anvisiertes Ziel, wo ich Weihnachten verbringen möchte, denn es ist bereits der 23.Dezember.
Also treffe ich an Heiligabend morgens dort ein und freue mich, endlich mal wieder mit Auswahl Einkaufen zu können. Entsprechend wird das Heiligabendessen eine große Gemüsepfanne mit etwas frischem Merluzafilet und jeder Menge frischer Kräuter.

In der Küche des Campingplatzes lerne ich Barri aus Dublin kennen. Er ist mit den Füßen und den Bussen unterwegs. Am Ende eines langen Abends in der Küche, bemerkt er, daß er vielleicht morgen vormittag, am ersten Weihnachtstag, in die Kirche gehen will. Ich denke mir: "Warum eigentlich nicht? Als ehemaliger Katholik mal wieder eine Messe zu besuchen, noch dazu auf Spanisch und an Weihnachten, das ist doch mal interessant!"

Also mache ich mich gegen halb zehn mit Barri auf zur Kirche, die nur zwei Blocks weiter, an der Plaza liegt. Es wirkt sehr ausgestorben, aber im Inneren ist eine Frau gerade dabei den Altarraum etwas herzurichten. Wir erfahren, daß die Messe erst um elf Uhr beginnt, und demnach ist noch jede Menge Zeit für einen Kaffee. Auf der Suche nach einem geöffneten und geeigneten Etablissement - Es muss Weihnachten ja kein Nescafe sein! - macht Barri den Vorschlag, daß wir uns statt auf Englisch ja auch auf Spanisch unterhalten können. "Interessante Idee!", denke ich und steige drauf ein. Die nächste Stunde verbringen wir dann damit, uns der spanischen Konversation hinzugeben. Ich stelle fest, daß es eine unglaubliche Wirkung hat, wenn man sich auf die nicht so geläufige Fremdsprache fokussiert. Und mit der Zeit, wird die Unterhaltung immer flüssiger. Tolle Idee, danke Barri!

Nachdem wir nach etlichen geschlossenen Cafes eine nette Kaffeelounge gefunden haben, die mir noch vom Vortag in Erinnerung war, und es gegen elf Uhr geht, machen wir uns wieder auf zur Kirche.

Wir kommen rein, und es sind tatsächlich 14 Personen, inklusive Pfarrer, Diakon und der Frau von vorhin in der Kirche. Drei Einheimische kommen noch später und die restlichen Zehn, sind Touristen. (Nach meiner Zählung sind wir Nummer 9 und 10.) Es stellt sich heraus, daß alle bis auf einen der "Locals" eine Aufgabe im Gottesdienst haben. Diese reichen von der Rezitation von Bibelstellen, bis zum Herumreichen des Opferstocks. Die Frau, die wir bereits um zehn in der Kirche angetroffen haben sitzt in der ersten Reihe und hat ein Mikrophon in der Hand, in das sie die rituellen Antworten der Gemeinde spricht. Dies tut sie allerdings mit einem derart vorauseilendem Gehorsam, daß die ganze Athmosphäre hektisch wird. Sie fällt dem Priester förmlich wie ein Schulkind ins Wort, daß die Antwort als erstes sagen möchte.  
Am Ende werden wir noch mit Handschlag vom Priester verabschiedet, jedoch nicht, ohne noch ein paar Sätze zu wechseln. Er kommt eigentlich aus Vincenza in Italien, lebt aber schon seit vielen Jahrzehnten hier. Er freut sich über die internationale Gesellschaft. Auf die Besucherzahl spreche ich ihn allerdings lieber nicht an.
Später erfahre ich, daß an Heiligabend der große Kirchgang stattfindet. Das ist bei uns ja eigentlich genauso, nur, daß trotzdem noch jede Menge Leute am ersten Weihnachtstag den Gottesdienst besuchen. Hier liegt man von den Feierlichkeiten des Vortags noch im Bett, da es spät wurde. Jetzt erklärt sich mir auch die Tanzmusik, die an Heiligabend aus einem Nebengebäude drang und erst nachts um vier verstummte.

Als wir aus der Kirche kommen, regnet es in Strömen. Wir stellen uns mal hier, mal dort unter und verplempern unsere Zeit in einem langweiligen, aber trockenen und warmen Andenkenladen. Und immer noch kommunizieren wir "para español".

Bei unserer Rückkehr in's Hostal wird uns das dann sehr nützlich sein, da der Gemeinschaftsraum, wo das WiFi am besten funktioniert, von einer Gruppe Israelis in Beschlag genommen ist. Wir grüßen beim Eintreten und ernten fünf Sekunden Stille, gefolgt von einem coolen, betont desinterssiertem "Hola!" (mit deutlicher Brechreizbetonung auf der ersten Silbe). Die weitere Kommunikation zwischen Barri und mir läuft dann natürlich auf Spanisch. Da wir wisssen, daß sie das nicht verstehen, können wir uns etwas vom "kalten Hauch der Arroganz" abgrenzen.

Es ist ja immer wieder interessant, wie sich Reisegruppen in halböffentlichen Bereichen verhalten. Aber die uns entgegentretende Gruppe, schießt da echt den Vogel ab. Ein Paradebeispiel aus persönlicher Unsicherheit (die meisten sind gerade mal Anfang zwanzig) und schlecher Erziehung, sorgt für eine vergiftete Athmosphäre (Barri's Umschreibung "toxic athmosphere", trifft da wirklich den Nagel auf den Kopf.)

Bisher habe ich einige Israelis, von denen es hier wirklich viele gibt, auf der Straße getroffen, und jedesmal hat sich ein nettes Gespräch daraus entwickelt. Auch diesmal ist ein Alleinreisender darunter, der sich aber bewusst im Hintergrund hält, denn unterm Strich bringen seine "gruppierten" Landsleute das ganze Volk in Verruf. Das geht so weit, daß es Hostals gibt, die nicht an Israelis vermieten.
Ich, als Deutscher, bin da natürlich erst mal stutzig und frage nach, als ich davon höre. Es wird schnell klar, daß das keine antisemitischen Ursprünge hat, sondern lediglich die Folge einer empirischen Häufung schlechter Erfahrungen ist.
Die Geschichten beinhalten verwüstete Zimmer, ständiges Nachverhandeln von Preisen und die oben schon erwähnten schlechten Manieren. Es gibt aber auch Fälle von Vorsatz.
So bestellt eine Gruppe Essen im Restaurant, ißt die Hälfte von den Tellern und behauptet dann, es wären nicht die Gerichte, die sie bestellt hätten. Das Ziel dabei ist natürlich, sich um die Rechnung zu drücken.
Hier noch zwei weitere Anekdoten, die ein gewisses Licht auf die Naivität werfen, die hinter diesem Verhalten steckt:
Die erste spielt auf einer Wildlifetour. Am Ende der Rundfahrt spricht eine israelische Touristin in forderndem Tonfall den Guide an und meint, im Prospekt wären (neben zwanzig anderen Tieren) auch Delphine erwähnt. Die hätten sie aber nicht gesehen. Sie möchte jetzt noch zu den Delphinen, und zwar schnell, sonst wäre das ja wohl Betrug! (Natürlich ist irgendwo im Prospekt auch erwähnt, daß es möglich ist, manche Tiere nicht anzutreffen.)
Die zweite Episode, spielt in einem Hostal in Buenos Aires. Vor der Rezeption ist einiges los. Vier Israelis drängeln sich an den Wartenden vorbei, zücken ein Blatt Papier und meinen: "Wir haben eine Reservierung!" Sie werden direkt bedient und lassen all die Schlangesteher schon mal hinter sich. Als der Hostalangestellte sie dann in ein Sechs-Bett-Zimmer einquartieren möchte, in dem schon zwei weitere Gäste sind, ist das Entsetzen groß. Nein, sie wollen ein Zimmer für sich allein! Also bittet der "Hostellier" die beiden Gäste, ob sie in ein anderes Zimmer umziehen können. Diese willigen ein, und während sie ihre Sachen packen, stehen zwei der Israelis mit verschränkten Armen im Türrahmen und warten demonstrativ auf die Freigabe "Ihres" Zimmers. Die anderen beiden machen sich in der Zeit scheinbar auf die Suche nach einer Alternativunterkunft. Jedenfalls verläuft und endet die Geschichte ohne jede Entschuldigung und ohne jedes "Danke". Die Krönung bildet dann noch die Frage: "We don't need this TV. What's the price then?" (Wir brauchen den Fernseher nicht, was kostet es dann!?)     
Nur um Unklarheiten zu vermeiden, nein, ich habe nichts gegen Israelis und vor zehn Jahren hatte ich die italienischen Reisegruppen auf Island und in den anderen skandinavischen Ländern wegen ihrer arroganten Rücksichtslosigkeit auf dem Kicker. Die Deutschen auf Mallorca können sicherlich ein ähnlich unsympathisches Klima verbreiten und manch andere Nationen ebenfalls.
Ich denke es ist eher ein "Gruppenreisen"-Phänomen, welches sich hier halt durch die vergleichsweise große Zahl israelischer Gruppen manifestiert.

Der Ort "Puerto Natales" hat ein angenehmes Flair und ist als "Gateway" zum "Parque Nacional Torres Del Paine" sicherlich stark touristisch geprägt. Trotzdem gibt es ein alltägliches Leben jenseits des Durchgangsverkehres der Wanderer und Alpinisten. Außerhalb des Stadtzentrums wuchern hier die Vororte und Industriegebiete. Es scheint einiges zu tun zu geben.

Der Weg nach "Punta Arenas", der größten Stadt der Region, ist 240 Kilometer lang und es gibt genau einen Ort auf dem Weg. Da ich mich entschließe den Rückenwind des zweiten Weihnachtstages abends noch zu nutzen, fahre ich gegen 19 Uhr noch aus der Stadt raus. Nach einer halben Stunde "Windsurfing" in den Seitenwindböen geht meine Rechnung auf und ich werde mit bis zu 35km/h nach Osten geweht. Abends finde ich sogar noch ein kleines Wäldchen an der alten Straßentrasse und habe ein damit einen windgeschützten und nicht zu lauten Zeltplatz.
Am folgenden Tag macht die Straße einen Biegung nach Süden und der bisher angenehme Rückenwind wird zum stürmischen Seiten- bis Gegenwind. Nach mehreren Stunden Kampf zelte ich hinter einem Erdwall abseits der Straße.

Am nächsten, immer noch stürmischen Morgen werde ich von lauterwerdendem Schafsblöken geweckt. Als ich aus dem Zelt schaue, sehe ich, wie die Gauchos auf ihren Pferden und mit ihren Hunden die Schafe auf der anderen Straßenseite zusammentreiben. Erstmal denke ich an nichts Böses und beginne einzupacken. Dann öffnen sie ein Gatter und tausende Schafe strömen über die Straße genau auf den Seitenstreifen wo mein Zelt steht. Da es auf meiner Seite kein Gatter gibt, muss die Herde genau hier durch. Ich beschleunige mein Packen und schaffe es noch alles aufs Rad zu schnallen, bevor die Meute hier eintrifft. Die Gauchos haben mich wegen des Erdwalls nicht gesehen und als ich nun auf der Straße auftauche sind sie doch etwas erstaunt und grüßen freundlich und etwas verwundert.
Das Geräusch tausender blökender Schafe, auf engem Raum zusammengetrieben wird mit wohl nicht mehr aus dem Kopf gehen.


Straße aus "El Calafate"
Straße aus "El Calafate"
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"Strom"-Arbeiter
"Strom"-Arbeiter
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Pampa
Pampa
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Piste
Piste
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Tanke in "Tapi Ayke"
Tanke in "Tapi Ayke"
Die argentinische "Gendarmeria"
Die argentinische "Gendarmeria"
Chilenische Grenze vor "Cerro Castillo"
Chilenische Grenze vor "Cerro Castillo"
"Cerro Castillo"
"Cerro Castillo"
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Auf der Straße zum "Parque Nacional Torres Del Paine"
Auf der Straße zum "Parque Nacional Torres Del Paine"
Friedhof
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Estancia
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Fauna
Fauna
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... die "Torres del Paine"
... die "Torres del Paine"
"Lago Sarmiento"
"Lago Sarmiento"
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Guanacos
Guanacos
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"Laguna Amarga"
"Laguna Amarga"
Ñandus
Ñandus
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Am "Mirador de las Torres"
Am "Mirador de las Torres"
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"Lago Nordenskjöld"
"Lago Nordenskjöld"
Zeltplatz
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Der Weg aus dem "Parque"
Der Weg aus dem "Parque"
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Flamingos
Flamingos
... Memorial
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Bei "Puerto Natales"
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"Puerto Natales"
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... Krippe
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... Steve aus Botswana
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Estancia
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Bushaltestelle
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... zwei Generationen
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Polizeikontrolle
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weit und breit der einzige Berg
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Windskulptur
Windskulptur
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"Punta Arenas"
"Punta Arenas"

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Kommentare: 2
  • #1

    Eneko (Freitag, 10 Januar 2014 18:36)

    Hello "Miguel"!! My name is Eneko we met in Puerto Natales (from Basque Country), I hope you are well, I am thinking to buy a new bike this year and maybe I am going to study to buy similar yours....I liked a lot! Anyway...
    best regards from Basque Country and enjoy the trip!!
    Eneko

  • #2

    Michael (Donnerstag, 16 Januar 2014)

    ¡Hola Eneko!
    of course I remember you an Iñaki (don't know if I spelled this right?).
    I hope your trip to Puerto Williams was good. I met many people in Ushuaia, who told me about "the other side". They really appreciated it over there.
    If you have any further questions about the bike, write me a mail. My adress is in the "Impressum" of this page.
    See you
    Michael