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Von der Küste verabschiede ich mich vorerst mal. Denn im Landesinneren warten jede Menge zwischen zwei- und dreitausend Meter hohe schneebedeckte Vulkane und ihnen jeweils zu Füßen liegende Seen
auf meinen Besuch.
Meinen Einstieg in diese Landschaft bildet der 3125 Meter hohe Vulkan "Llaima". Sein letzter Ausbruch ist noch nicht mal fünf Jahre her und im ihn umgebenden Nationalpark kann man die Spuren der
Lavaströme und des Ascheregens noch deutlich sehen. Es fühlt sich sehr an wie auf Island, allerdings mit jeder Menge Bäume. Der auffälligste ist die Araukarie, die hier in Araukarien ihren
Ursprung hat. Sie gehört zu den Koniferengewächsen und hat eine äußerst aparte Form sowohl als Ganzes, wie auch in Details.
Besiedelt ist das Gebiet größtenteils von den "Mapuche", einem indianischen Volksstamm, der in den letzten Jahrzenhnten um Vieles gebracht wurde, nicht jedoch um seine Würde. So finden auch hier,
völlig unabhängig von den Studentenprotesten in Santiago, politische Auseinandersetzungen statt. Leider gibt es auch hier Tote und Verletzte zu beklagen.
Ich verbringe zwei Nächte in "Curacautin", was auf Maputo, der Sprache der Mapuche, sowas wie "heißer Stein" bedeutet, in dem unglaublich angenehmen Hostel "Epu Pewen", dass u.a. von einem
Spanier betrieben wird, und vielleicht deshalb einen etwas anderen Standard an Sauberkeit und Design bietet, als manch andere bedeutend teurere Unterkunft, die ich in den letzten Wochen
beansprucht habe.
Die meisten Vulkane hier haben eine ausgeprägte Kegelform mit jeweils schneebedeckter Kuppe. Und gerade diese Regelmäßigkeit läßt es für mich fast endlos erscheinen, da sich in naher oder weiter
Ferne immer wieder ein neuer Gipfel auftut. Meist stehen sie ganz allein, umgeben von niedrigeren Gebirgszügen. Erst weit im Hinterland tauchen dann die Andengipfel auf.
Whilly, ein spanischer Bergführer und Kameramann, den ich später kennenlerne, erzählt mir, dass es über 2000 Vulkane in Chile gibt. Da sind natürlich jede Menge erloschene darunter.
Nach dem "Llaima" folgen für mich die Vulkane: "Villarica" (2805m), Quetrupillan" (2009m), "Choshuenco" (2415m), "Carrán" (1114m), "Puyehue" (2240m), "Casablanca" (2240m), "Puntiagudo"
(2190m), "Osorno" (2652m) und schließlich der "Calbuco" (2015m)auf der Höhe von Puerto Montt. Die Reihe läßt sich sowohl nach Norden, wie auch nach Süden noch um einiges fortsetzen. Stellt man
sich die Vulkane als Saugnäpfe vor, gleicht Chile von der Geologie und der Landesform her etwa dem Fangarm eines Tintenfisches.
Auch die tektonische Reibung an der Pazifikküste, die ich ja schon in Nordamerika kennengelernt habe, setzt sich hier unten unvermindert fort. Erdbeben sind in Chile an der Tagesordnung. Gleich
an meinem zweiten Tag verschlafe ich eines der Stärke 5,4 nicht weit von Santiago. Als ich später davon erfahre, glaube ich, mich an einen unruhigen Traum erinnern zu können. Wer weiß!?
Jedenfalls gibt es auch hier in den Küstenregionen überall Tsunami-Warntafeln. Und so mancher Ort wurde schon ganz oder teilweise weggespült. In den letzten Jahren allerdings ohne Menschenleben
gekostet zu haben, da die Warnsysteme gut funktionieren.
In "Panguipulli" erlebe ich den Wahlabend. Auffällig ist schon am Vormittag, daß die Alkoholregale der Läden mit Brettern vernagelt sind, da der Verkauf von Spirituosen an diesem Tag komplett
untersagt ist. (Auch nach Schließung der Wahllokale.) Ich frage mich, ob es in der jüngeren Geschichte mal einen Fall von Wahlmanipulation durch Alkohol gegeben hat. Aber es gibt solche Gesetze -
sie werden auch "blue laws" genannt - wohl überall auf der Welt. Beispielsweise wurde in Österreich ein solches Gesetz erst 1979 abgeschafft und in Norwegen ist der Verkauf von Alkohol nicht nur
am Wahlsonntag, sondern grundsätzlich sonntags verboten.
Jetzt noch was zu zu der politischen Situation nach der ersten Wahlrunde: In Chile gibt es ein Zweikammersystem. Das heißt, neben dem Abgeordnetenparlament gibt es noch einen Senat. Außerdem wird
auch der Präsident direkt vom Volk gewählt. Da Chile erstmalig auf eine vorherige Registrierung in ein Wählervezeichnis verzichtet, deutete sich bereits eine hohe Wahlbeteiligung an.
Die beiden größten Lager sind die sozialistische "Nueva Mayoria" (Neue Mehrheit) von "Michelle Bachelet" und die konservative "Alianza por Chile" um Evelyn Matthei. Sie bestehen jeweils aus
Allianzen mehrerer Parteien.
Da am Wahltag keine der beiden über eine absolute Mehrheit verfügt, wird es vier Wochen später, am 15.12. eine Stichwahl geben. Aufgrund des deutlichen Vorsprungs Bachelets in der ersten Runde,
ist deren Ausgang allerdings vorhersehbar.
Wie schon früher erwähnt, ist die Geschichte der beiden Kandidatinnen eng mit der ihres Landes verflochten und spiegelt gleichsam die Kontroversen und "alten Rechnungen" wider, die sich hier wie
Risse durch die Bevölkerung ziehen.
Beide sind Töchter ranghoher Generäle unter "Salvador Allende", der am 11. September 1973 von General "Augusto Pinochet", damals gerade frischgebackener Oberbefehlshaber des Heeres, in einem
Staatsstreich gestürzt wurde. Die beiden Familien pflegten freundschaftlichen Kontakt und die beiden Damen waren damals mit Anfang zwanzig keine Kinder mehr und sicherlich auch politisch
einigermaßen auf dem Laufenden.
"Allende", der erste und bisher einzige frei gewählte marxistische Präsident Südamerikas, nahm sich im Laufe dieses Tages das Leben und machte damit den Weg frei für eine mehr als zwanzig Jahre
dauernde Militärdiktatur. Die Väter der beiden Kandidatinnen erlitten dabei allerdings höchst unterschiedliche Schicksale. Während der Vater von "Evelyn Matthei" unter "Pinochet" eine steile
Karriere bis zum Minister machte, landete "Alberto Bachelet", Michelles Vater im Gefängnis, da er unter "Allende" zuletzt einige staatstragende Verantwortungen hatte. Es ist mittlerweile wohl
erwiesen, dass er gefoltert wurde, jedoch starb er wohl an einem schwachen Herzen, was wiederum als Folge von Folter durchaus einen kausalen Zusammenhang zu haben scheint.
"Michelle Bachelet", ebenfalls zusammen mit ihrer Mutter inhaftiert, verließ Chile zunächst in Richtung Australien und von dort aus in die DDR. Sie studierte in Potsdam und später in Leipzig
Medizin und nach vier Jahren kehrte sie in ihr Heimatland zurück um ihre berufliche Karriere fortzusetzen. Das Klima hatte sich gemildert und dennoch legte man ihr Steine in den Weg, so gut man
konnte. So wurden ihre Examina und Testate aus Deutschland nicht anerkannt, so daß sie vieles wiederholen mußte, aber ihr starkes Durchhaltevermögen trotzdem nicht gebrochen werden konnte.
Etwas anders verlief dann ihre erste Amtszeit als Präsidentin zwischen 2006 und 2010, in der sie mit hohen Sympathiewerten begann und vier Jahre später allerhand frustrierte Anhänger hinterließ,
was allerdings stark auf innerparteiliche Querelen zurückzuführen war, da ihr teilweise die eigenen Leute die Gefolgschaft bei wichtigen Entscheidungen verweigerten.
Unterm Strich ist diese Wahl also sowas wie eine Art demokratische und gewaltfreie Neuauflage des "Pinochet - Allende - Putsches". Der noch regierende Präsident "Sebastian Piñera" ist dabei als
Zögling Pinochets, eher als Representant des Regimes zu sehen.
Zuletzt sei noch erwähnt, das beide Kandidatinnen Fragen zu ihrer Jugendzeit und der Freundschaft ihrer beider Familien, grundsätzlich nicht beantworteten um diese ganze Vorgeschichte aus dem
Wahlkampf herauszuhalten.
Die Studenten in Santiago werden abwarten müssen, ob Bachelet ihre Versprechen diesmal, mit einer erneuerten Partei, wahrmachen wird. Die Sitzverteilungen sowohl im Parlament, wie auch im Senat
sind aus Bachelets Sicht jedenfalls recht komfortabel. Aber auch die Studenten werden den Waffenstillstand der letzten Monate nicht ungenutzt haben verstreichen lassen.
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