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Auf dem Weg nach "Concepcion", der zweitgrößten Stadt Chiles, komme ich vorher noch durch "Constitution", einer beschaulich gelegenen, aber unglaublich betriebsamen Stadt. Inmitten großer
Wälder, wird hier am Hafen, einer von Chiles wichtigsten Rohstoffen, das Holz, in alle Welt verschifft. Außerdem befindet sich südlich der Stadt eine eindrucksvolle Felsenküste, die natürlich
auch eine magnetische Wirkung auf den Tourismus ausübt. Entsprechend hoch sind die Übernachtungspreise gegenüber meinen bisherigen Erfahrungen. Schließlich entscheide ich mich für den
Campingplatz inmitten der dramatischen Klippen. Leider werde ich auch hier echt "abgezogen". 10.000 Pesos, was in etwa 15 Euros entspricht, zahle ich für eine unzweifelhaft atemberaubende Lage.
Allerdings gibt es nur zwei WCs ohne Klopapier und statt einer sonst üblichen kalten Dusche, hier gar keine. Auf meine Nachfrage "¿Diez Mil?" (Zeeeehntausend?)kommt die Antwort: "¡El Paisaje!"
(Die Landschaft!). "Nun ja", denke ich, "dann bauen wir mal auf."
Von den etwa dreißig Parzellen ist genau eine von einer kleinen Familie beschlagnahmt. Die anderen sind leider auch nicht ganz unbelegt. Überall liegen oder hängen prall gefüllte Tüten mit Müll
der letzten Wochen und Monate herum. Die auf dem Boden liegenden sind meist von den Hunden heruntergerissen und durchgemustert worden, weswegen der aufmerksame Camper versucht, seinen Müll
außerhalb der Reichweite dieser Vierbeiner zu lagern. Nämlich auf den Spitzen des Lattenzaunes, an Baumästen, oder an der Unterseite der Überdachungen.
In den Städten und Dörfern sieht man dafür immer wieder etwa einmeterhohe Gestelle, auf denen der Müll an der Straße "aufgebahrt" wird, bevor die Müllabfuhr ihn entsorgt. Oft übernehmen in der
Landschaft eben auch Zäune oder Bäume diese Funktion. Hier auf dem Campingplatz jedenfalls, hängen die Leute ihren Müll zwar auf, aber niemand kommt ihn abholen. Außerdem gibt es Hunde. Nämlich
die beiden Tölen des Betreibers, von denen eine mich beim ersten Toilettenbesuch am liebsten verspeisen wollte, wenn er nicht an der Kette gewesen wäre. Später läuft er auch frei herum. /-:
Ich finde eine halbwegs akzeptable Parzelle und räume mit den Füßen etwas auf. Später nehme ich dann noch zur Kenntnis, dass die verrosteten Steckdosen an den überdachten Tischen nur in der einen
Hälfte des Platzes Strom führen. Ich bin in der anderen!
(Jetzt, wo ich das hier schreibe, ärgere ich mich, dass ich keine Fotos von dem Müll gemacht habe. Wahrscheinlich war ich zu enttäuscht um das noch dokumentieren zu wollen. Also bitte nicht von
der scheinbar "heilen Welt" der Fotos täuschen lassen.
"DER CAMPSITE VON CONSTITUTION IST EIN ABSOLUTES NO-GO!!!")
Kury vor "Concepcion" werde ich noch Opfer einer Jugendstreichs. Hinter "Tomé" lande ich per Zufall auf einem netten Küstenweg. Es handelt sich dabei wieder mal um eine ausgediente Bahntrasse, die natürlich immer schön unter der Steilküste entlang führt und ja eigentlich bis zum nächsten Ort reichen sollte. Ich frage mehrfach Leute und ernte als Antwort ein Nicken. Manchmal glaube ich leichte Zweifel wahrzunehmen, aber es sind ja auch noch dreißig Kilometer.
Irgendwann treffe ich zwei Jugendliche auf Fahrrädern. Nach etwas Smalltalk bedeuten sie mir, ihnen zu folgen, da sie den selben Weg haben. Nach etwa einer Viertelstunde stoppen sie und deuten auf das Ende der Bucht. Dort erblicke ich einen Tunnel. Die beiden machen Anstalten umzukehren und meinen kurz, dass ich da durch müsse, dann käme ich nach "Penco", meinem nächsten Ziel.
Gesagt, getan! Im Tunnel ist es stockdunkel und ich packe alle meine Lampen aus. Langsam taste ich mich schiebend durch die Dunkelheit. Es ist erstaunlich wie schnell das Tageslicht des Eingangs nicht mehr zu sehen ist. Irgendwann höre ich Stimmen von vorne. Ich lasse sie näher kommen und erblicke irgendwann vier Personen. Eine Familie mit zwei Kindern. Ich frage, wie lang der Tunnel noch ist und erfahre, höchstens 800 Meter. Aber irgendwie können sie nicht recht glauben, daß ich hier mit dem "Bici" (Fahrrad) unterwegs bin.
Nun ja, die 800 Meter vergehen schnell und bald sehe ich auch schon das berühmte "Licht am des Tunnels". Die wiedererlangte Helligkeit ist zwar ganz schön, allerdings zeigt sie mir auch in aller Deutlichkeit, daß der Weg immer enger und schlechter wird. Schon nach zwanzig Metern muß ich das Rad eine kurze steile Böschung hochtragen. Aber irgendwie ist immer noch so etwas wie eine Trasse sichtbar. Ich hoffe auf eine bloß kurzfristige Behinderung und zwänge mich durch immer mehr Engpässe und über hohe Stufen.
Um das Ganze hier etwas abzukürzen: Nach einer Stunde Pfadfinderarbeit beschließe ich, den nächsten Weg den Berg hoch in den Wald in Richtung Straße zu nehmen und verfluche die beiden Pissnelken,
die mich hier in's offene Messer aben laufen lassen, während ich dann etwa zwanzig Minuten mein Rad extrem steile Waldwegpassagen hochschieben darf. Zur Belohnung komme ich natürlich noch an
einem geschlossenen Tor an und muss mein ganzes Zeug einzeln über den Zaun wuchten. Dummerweise wittert mich dann noch der Hund der nahegelgenen Farm und macht sich laut bellend auf den Weg in
Richtung Eindringling. Ich habe fast alles drüben, und als der Hund um die Ecke biegt, bin ich selbst auch schon auf der anderen Seite. In einer schnellen Bewegung versuche ich noch etwas Abstand
zum Zaun zu bekommen und stehe knöcheltief in einer Pfütze. Tja, danke vielmals! Immerhin respektiert der Köter die Grenze und zieht schnell wieder ab.
Aber nun zu "Concepcion". Die Stadt ist das Zentrum einer Agglomeration von über einer Millionen Einwohnern. Das merke ich vor allem an der zunehmenden Verkehrsdichte, die fast die von Santiago
erreicht. Irgendwann habe ich es sowas von satt, dass mich der selbe Bus immer wieder mit einem Abstand von 15 Zentimetern überholt und schneidet, dass ich ihm mit der flachen linken Hand einmal
kräftig auf die Seite schlage. Augenscheinlich zeigt das Wirkung, denn er bremst ab und stoppt. Ich fahre sichtlich verärgert vor bis zur Fahrertür und ernte so etwas wie "Ich kann ja nicht
jedesmal auf die andere Spur fahren, wenn ich dich überhole!?!". Und von mir kommt der vorher zurechtgelegte und sicherlich grammatisch unkorrekte Satz:
"¡Tu arriesgar mi, no tu vida!" (Du riskierst mein, nicht dein Leben!)
Der Verkeht fließt weiter, und genauso verfließt dieser kurze Wortwechsel in der Betriebsamkeit der Großstadt. Tja, Busfahrer sind ja auch nur Menschen! Aber irgendwie habe ich das Gefühl, das
diese zwanzig Sekunden vielleicht eine Kleinigkeit an Bewußtsein bewirkt haben könnten?!?
Ansonsten ist "Conception" eine sehr angenehme Stadt. Das Gitternetz ist leicht zu durchschauen. Die Einbahnstraßen lassen den Verkehr fließen und es gibt sogar so etwas wie eine
Fußgängerzone.
Am Sonntag, meinem zweiten Tag, bekomme ich jede Menge Wahlkampf und einen Volkslauf geboten. Als ich dann durch die nordwestlichen Vororte die Stadt verlasse, gerate ich sogar noch in eine
"Critical Mass"-ähnliche Veranstaltung (Fahrradfahrer erobern die Straßen, indem sie dank ihrer Überzahl und Wendigkeit den Autoverkehr zum erliegen bringen. Sowas wie der "Tweed Ride" in Salt
Lake City.). Jede Menge Familien auf Fahrrädern werden von Carabinieri (so heißt hier die Polizei, wie auch in Italien) eskortiert, oder zumindest abgeschirmt. Es ist also mehr sowas wie ein
Autofreier Sonntag, der hier aber jede (!) Woche stattfindet. Ein völlig neues Gefühl hier in Chile, als Radfahrer mal Vorfahrt zu haben. Leider ist der Spuk nach dreißig Minuten wieder
vorbei, da meine Route in eine andere Richtung, nämlich nach Süden, führt.
Als ich mich endlich aus all den Vorstädten rausgewunden habe, mehrfach auf den Seitenstreifen von autobahnähnlichen Straßen gelandet bin und einmal wirklich vom Rad falle, da sich plötzlich eine schlecht sichtbare, tiefe Sandmulde unter meinem Vorderrad befindet, komme ich auf eine Landstraße, auf der es von kleinen bis großen Baustellen nur so wimmelt. Nach zwanzig Kilometern scheinen die Bauarbeiten abgeschlossen und ich fahre auf dem Seitenstreifen einer funkelnagelneuen "Autobahn". Da ich keine Parallelstrecke entdecken kann, fahre ich weiter. Eine Stunde später komme ich an eine Zahlstelle und erwarte nichts Gutes. Meine Erwartungen werden allerdings angenehm enttäuscht und einer der Kassierer winkt mir zu und gestikuliert, dass ich an der rechten Seite auf der Kontrollspur durchfahren soll.
Ich kann es ja irgendwie nicht glauben, aber scheinbar bin ich hier geduldet. Bei der nächsten Ortschaft fahre ich ab und kaufe ein. Komischerweise gibt es an der Aus- und Auffahrt keine Kontrollen.
Mit vollen Taschen geht es wieder auf den "Highway" und ich beschließe die nächste Wirtschaftzufahrt in den Wald zu nehmen um zu zelten. Das klappt ganz hervorragend. Nach zehn Minuten verabschiede ich mich durch einen Spalt im Zaun in den Wald und fahre noch etwas um Abstand von der Straße zu bekommen. Auch wenn es eigentlich kaum Verkehr gibt, möchte ich ja doch ungestört schlafen können. Ich baue inmitten eines herrlichen Nadelwaldes auf und habe meine Ruhe. Da die Autobahn den Wald auf der einen Seite komplett abschirmt brauche ich auch nicht mit irgendwelchem Durchgangsverkehr rechnen.
Am nächsten Morgen schleiche ich mich wieder zurück und fahre weiter. Nach zwei Stunden kommt die nächste Mautstelle und ich fahre munter darauf zu. Als ich näher komme bekomme ich irgendwie den Eindruck, dass die hier andere Kriterien anlegen, was das durchwinken von Fahrrädern anbelangt. Kurzentschlossen fahre ich einfach an der Schranke vorbei und winke kurz mit einem "¡Hola, buenas dias!" auf den Lippen zum Kassenhäuschen hin. Der etwas verdutzte junge Mann macht Anstalten sich zu erheben, aber im nächsten Moment bin ich dann schon durch. "Frech kommt weiter", denke ich und behalte recht. ;-)
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Christine Klein (Freitag, 27 Dezember 2013 22:40)
Hmm, da werden Erinnerungen wach. Den Berg Llaima habe ich vor vielen vielen Jahren von der argentinischen Seite aus gesehen. Das muss um die gleiche Jahreszeit gewesen sein, denn Silvester waren wir in Mendoza. Ist lange her... Schöne Fotos, Michael. Alles Gute und adelante!
die Klöcknerbande (Sonntag, 29 Dezember 2013 00:27)
Wünschen dir eine gute Fahrt ins neue Jahr 2014
und weiterhin viel Spaß und nette Menschen auf deiner Tour
Liebe Grüße Jonas, Mirco und Christine Klöckner