2.10. Salt Lake City

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Der Zeitplan geht gut auf. Durch drei Megaetappen mit je etwa 140-160 Kilometern am Tag erreiche ich pünktlich Salt Lake City. Pünktlich deswegen, weil ich mit Christy verabredet bin. Wieder ein warmshowers.org-Kontakt. Und wieder mal ein echt sympathischer und sehr hilfreicher. Da Christy neben ihren sonstigen zahlreichen Qualifikationen auch als Fahrradmechanikerin arbeitet, habe ich ihr bereits im Vorfeld gemailt, was ich brauche, bevor es nach Chile weitergeht: zwei neue Mäntel und eine große Kiste für den Transport im Flieger. Es ist also schon für alles gesorgt.

 

Vor der Ankunft in "Salt Lake City" strande ich aber noch in den sich stetig verdichtenden Vororten. Bis zur Dunkelheit versuche ich ein Motel oder einen Campingplatz zu finden, aber ohne Erfolg. Auch die "Natur" ist gründlichst eingezäunt und so versuche ich Christy zu erreichen um zu fragen ob es ok ist, wenn ich heute Nacht schon ankomme, aber ich erwische nur ihre Mailbox und beschließe nach einem Platz für mein Zelt zu suchen und nach Einbruch der Dunkelheit aufzubauen. Meine Wahl fällt auf eine Brachfläche, wahrscheinlich zukünftiges Bauland, neben einem großen Postgebäude und flankiert von Einfamilienhäusern. In der Nähe ist eine Tankstelle, die bis nachts um elf geöffnet ist. Nach dem Zeltaufbau niste ich mich mit meinem Notebook dort ein, komme aber kaum zum arbeiten, da ich mit Martin, dem Mann hinterm Thresen in's Gespräch komme. Er kommt aus "Salt Lake City", ist Bauzeichner und war mehrere Jahre mit einer Finnin verheiratet. Er hat einige Zeit in Finland und Deutschland gelebt und ist für mich eine gute Quelle die Besonderheiten von Utah zu hinterfragen.

Diese liegen vor allem in den speziellen Gesetzen, die aus der mormonischen Bevölkerungsmehrheit erwachsen. Mormonen rauchen nicht, trinken weder Alkohol noch Kaffee oder Tee und sind angehalten sich am Sabbath (sonntags) nicht sportlich oder kommerziell zu engagieren. Soviel zu den Geboten, die eine gewisse Wirkung auf das allgemeine Leben haben. Andere, ausschließlich das Privatleben betreffende Vorschriften, lasse ich jetzt mal außen vor, da man davon im alltäglichen Leben nichts mitbekommt. Vielleicht ist noch die grundsätzliche Ablehnung von Tätowierungen und Piercings (außer Ohrlöchern bei Frauen) zu erwähnen.

Martin selbst ist kein Mormone, meint aber, dass man unterm Strich mit den Einschränkungen gut leben könne. Wenn man erst mal weiß, dass man sonntags keinen Wein kaufen kann und Bier mit einem Alkoholgehalt von über 5% nur in Flaschen oder Dosen, nicht aber frisch gezapft vom Fass erhältlich ist, richtet man sich eben entsprechend ein. Außerdem gibt es ja Cafes und Kneipen und die Läden außerhalb der Downtown-Zone hätten meist auch sonntags geöffnet.

Später werde ich noch zwei ehemalige Mormonen kennenlernen, die sich beide in ihren frühen Zwanzigern von der Kirche abgewandt haben. Das scheint für die Angehörigen das größte Problem zu sein, da die Familie in dieser Religion eine, wenn nicht die wesentliche Säule dieser Glaubensgemeinschaft bildet.

 

Die Nacht inmitten des Wohnviertels verläuft angesichts der Tatsache, dass es Freitag Nacht in der Woche vor Haloween ist, ausgesprochen ruhig. In der Nachbarschaft sind zwei Feten zu Gange. Wegen der frostigen Außentemperaturen beschränken sich die Aktivitäten aber weitestgehend auf die Innenbereiche der Häuser. Auch neugierige Hunde spüren mich nicht auf und das Postgebäude ist scheinbar so gut mit Kameras und Stacheldraht gesichert, dass keine Securitymitarbeiter nachts ihre Runden drehen müssen.

 

Am nächsten Morgen baue ich gegen sieben Uhr dreißig ab und frühstücke bei MacDonald's. Alle anderen Läden öffnen samstags nicht vor neun und außerdem gibt es beim Burgerladen Steckdosen und Internet. Ein guter Platz also, um noch ein paar Fotos zu sichten und exportieren und außerdem die neusten Nachrichten aus aller Welt.


Von dort aus geht es jetzt immer geradeaus auf der Route 68. Nach etwa anderthalb Stunden der gleichen Kulisse aus sich wiederholenden Wohnvierteln, Shoppingmalls und sonstigem Gewerbe, biege ich nach rechts ab und bin schon fast vor Christys Tür. Noch einen Schlenker und schon ist das Haus gefunden. Nach meinem wiederholten Läuten sehe ich nur kurz eine Katze hinter dem Vorhang vorbeihuschen.
Nach zwanzig Minuten rufe ich Christy an und erfahre, dass sie noch unterwegs ist um Futter für die Hühner zu organisieren. Ich könne solange auf der Veranda oder im Hof Platz nehmen.

Ich lade Teile meines Gepäcks auf die Veranda und starte zu einer kleinen Rundfahrt durchs Viertel, oder besser die "Neighbourhood" (Nachbarschaft). Viele kleine Häuser reihen sich aneinander. Jedes freistehend mit einem kleinen Grundstück außenrum - Garten kann man das mangels Engagement der Bewohner oft nicht nennen. Viele Latinos leben hier und entsprechend sind auch die nahegelegenen Supermärkte ausgestattet.
Trotz allem wirkt es hier friedlich. Von vielen Leuten werde ich gegrüßt ohne dass wir uns kennen und die Zäune an den Grundstücksgrenzen ähneln nicht den Hochsicherheitstraktmodellen, die man in den wohlhabenderen Vierteln sieht.
Kurz vor Christy komme ich zurück und helfe gleich mal beim Hühnerfuttertransport in den Hinterhof. Gleichzeitig kommt Djorgan, ein Freund, mit seinem Rennrad vorbei. Die beiden sind sozusagen zu einem "Ausritt" verabredet und ich schließe mich ihnen an. Wir fahren in westlicher Richtung aus der Stadt und sind blitzschnell in menschenleerem Gebiet. Nach etwa einer Stunde sind wir in der Nähe des Salzsees, der aber eigentlich nur schwer von der ihn umgebenden Wüste zu unterscheiden ist. Auf dem Rückweg kommen wir nahe am Flughafen vorbei, von dem aus ich dann übermorgen abfliegen werde. Der Fahrradweg geht direkt am Ende der Startbahn vorbei. Wir passieren mehrere Sicherheitstore um diesen Bereich zu durchqueren. Wir kommen spät zu Hause an. Spät deswegen, da ein weiterer Programmpunkt ansteht. Der alljährliche "Tweed Ride".
Das ist ein Flashmob-mäßiges Happening von Radfahrern, die in nostalgischen Klamotten und meist auch auf ebensolchen Fahrrädern eine große ausgiebige Runde durch die Stadt drehen, um dann im gediegensten Hotel der Stadt, dem "Grand America" einzufallen um einen Cocktail oder Ähnliches in der Hotelbar zu schlürfen. Dazu parken wir unsere Zweiräder in der Tiefgarage und entern die Lobby. Obwohl es seitens der "Tweedrider" eine Vorwarnung gab, sind die Gastronomen zunächst doch etwas überfordert, ob der fast vierzig Personen, die hier gerade die Bar entern, aber nach einigen Minuten werden wir absolut souverän bedient und bevölkern ungefähr ein Drittel der Tische und Stühle.
Ich lerne dort im Grunde die gesamte "Salt Lake"-Fahrradszene kennen. Dazu gehören neben den städtischen und County-betriebenen Radprogrammen und Werkstätten auch der Fahrradladen der Stadt, nämlich "Saturday Cycles".
Dort arbeitet Christy als Fahrradmechanikerin, wenn sie nicht gerade für ein Online-Portal Kundenwünsche für neue Velos entgegennimmt. Ihr drittes und wohl wichtigstes Standbein ist aber eine ganz besondere Brauerei. Aber dazu später.

Erst mal verabrede ich mit Mark, dem Inhaber von "Saturday Cicles" lose einen Termin für den nächsten Tag - einem Sonntag! - im Laden, um meine Ersatzteile auszusuchen. Dann lande ich mit Christy, Jack, Jodie und Zack noch bei "Himalayan Kitchen", bevor wir die nächtlichen fünf Kilometer zu Christys Haus zurückfahren. Sie geht dann noch mit Jack auf eine Haloweenfete (siehe Foto ganz unten) und ich falle totmüde in's Bett.

 

Am nächsten Tag, einem sonnigen Sonntag mache ich früh morgens eine Fototour durch die ausgestorbene Innenstadt. Man merkt einen deutlichen Unterschied zu den anderen Städten. Es ist wirklich menchenleer und die Suche nach einem Cafe für's Frühstück gleicht der Sache mit der Nadel und dem Heuhaufen.

Gegen Mittag treffe ich dann Mark in seinem Laden. Neben den neuen Mänteln gibt es noch einen neuen Rückspiegel, der am Lenker befestigt wird (der Helmspiegel hat sich nicht bewährt). Außerdem ein ansteckbares Rücklicht, da das fest angebaute ziemlich vom Gepäck verdeckt wird, zwei neue Zurrgurte um das Gepäck zu befestigen und einen weiteren Ersatzschlauch. Ich werde auüerordentlich gut beraten, bekomme noch eine kleine Einführung in exotische Radmodelle, bis hin zu Rädern mit Ballonreifen, mit denen sie im Tiefschnee fahren. Und es ist ja nicht mehr weit bis zum Wintereinbruch.

Da ich die Fahrradkiste nicht transportieren kann, bringt Mark sie kurzerhand zu Christys Brauerei, da dort Chrysties Auto steht. Ich bin dort später noch mit ihr verabredet.

Die Brauerei befindet sich im Laden der "Chocolate Conspiracy", einer kleinen Schokoladenmanufaktur, die vom Partner von Christys Mitbewohnerin betrieben wird. Gebraut wird dort Kombucha, fermentierter Tee, (http://de.wikipedia.org/wiki/Kombucha) in vier verschiedenen Geschmacksrichtungen. Christy hat es geschafft in etwa einem Jahr einen Fuß in die Tür der lokalen Getränkeherstellerszene zu setzen und beliefert zur Zeit wöchentlich einige Läden und Restaurants. Sie steht kurz vor einer deutlichen Expansion. Neue Räumlichkeiten sind schon gefunden und gerade geht es um das Anwerden von Hilfskräften, denn bisher ist das Ganze ein "Ein-Frauen-Betrieb".


Am nächsten Tag wechsle ich noch die Mäntel und demontiere wieder mal jede Menge Teile meines Fahrrads, um es in die verflixte Kiste verfrachten zu können. Christy ist noch mit der Katze beim Veterinär und wir verabreden, dass sie telefonisch Bescheid sagt, falls sie mich nicht zum Flughafen fahren kann und ich ein Taxi bestellen muss. Es klappt aber alles wie am Schnürchen und etwa zwei Stunden vor Abflug werde ich am Airport mit meinen beiden riesen Gepäckstücken abgeladen.

Es gibt keine Warteschlange. Die Leute von Delta sind absolut zuvorkommend und meine Kiste wird von Airport-Security erstmal geöffnet und nach Begutachtung des Inhalts wieder mit absolutem Profitape verschlossen. Ich scherze noch mit den "Officers": "Next I will just leave it open and save the money for the tape." (Das nächste mal lasse ich die Kiste gleich offen und spare mir das Geld für's Klebeband.) und ernte einen kollektiven Lacher.

Nach etwa fünf Minuten bin ich eingecheckt und alle meine Gepäckstücke los. An der Sicherheitskontrolle zum Gatebereich erkennt der Mann am Röntgengerät meine Gitarre und fragt mich aus seinem Kasten heraus: "It's a Martin, isn't it?" (Es ist eine Martin, nicht?). Ich bejahe kurz - es sind noch jede Menge andere Passagiere in der Schlange - und werde mit einem "Keep on rockin'!" zu den Gates entlassen.

Es ist ja sowas von gegenteilig zu meinem Abflug von Boston. Allerdings wäre diese versöhnliche Abschiedsvorstellung gar nicht nötig gewesen, da ich ohnehin schon beschlossen habe in den USA noch so manche Reise zu unternehmen.

 

 

 

"Panguitch"
"Panguitch"
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Haloween ...
Haloween ...
unterwegs
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Herbst in Utah
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"M"
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"Railway Museum"
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"Salina"
"Salina"
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"Mount Nebo"
"Mount Nebo"
Temple "Refill"?
Temple "Refill"?
Payson
Payson
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Tempel mit Alpaca
Tempel mit Alpaca
"Provo"
"Provo"
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ehemaliges Gerichtsgebäude
ehemaliges Gerichtsgebäude
Provo
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Lehi
Lehi
Storage Facility
Storage Facility
nördlich von "Salt Lake City"
nördlich von "Salt Lake City"
Am "Salt Lake"
Am "Salt Lake"
Christy (l) und Djorgan (r) am "Salt Lake"
Christy (l) und Djorgan (r) am "Salt Lake"
"Tweed Ride"
"Tweed Ride"
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Mark (r), Djorgan (m)
Mark (r), Djorgan (m)
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Am Ziel: "The Grand America"
Am Ziel: "The Grand America"
"Salt Lake City" am Sonntag Morgen
"Salt Lake City" am Sonntag Morgen
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"The Grand America"
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County Buiding
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"The Temple"
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Die Verwaltung
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"Family"
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Christy und Jack auf dem We zur Haloweenparty
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