2.9. Utah - Inmitten der Canyons

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Von Las Vegas bis zur Grenze nach Arizona sind noch einige Kilometer Wüste zu durchqueren. Das funktioniert auf dem "Interstate 15", einer Autobahn, ausgesprochen gut, da die vorbeirauschenden LKW durch ihren Fahrtwind einen förmlich anschieben. Ich fühle mich wie auf 'nem Moped. In den drei Stunden die ich dann die nord-westliche Ecke von Arizona kreuze, sehe ich was eine stiefmütterliche Straßenpflege anrichten kann. Die Standspur ist voller Müll und Steine. Manchmal ist sie für einige hundert Meter einfach ganz weg - dann versuche ich Lücken ohne Laster zu erwischen und hangele mich so durch die kritischen Bereiche.

Die Vernachlässigung dieser paar Meilen kommt sicherlich daher, dass es keine Anbindung an das sonstige Straßennetz von Arizona gibt. Der einzige Ort "Littlefield" hat, wie der Name schon andeutet, höchstens einige Hände voll Einwohner und sicherlich keinen Straßendienst. Scheinbar fühlen sich aber weder Nevada noch Utah für diesen Abschnitt mitverantwortlich. Nun ja, die zwanzig Radfahrer, die sich da jährlich drüber aufregen, sind auch wirklich zu vernachlässigen.

Ein echtes Niemandsland eben, und das, obwohl die Straße dort dramatisch von einer langen Ebene einfach in den Berg reinzuführen scheint. Ich denke wieder, dass meine Landkarte mich ein weiteres mal in die Irre führt und rechne schon mit dem Schlimmsten, nämlich einem für Radfahrer gesperrten Tunnel. (Es wäre nicht der erste!)

Stattdessen schmiegt sich der Interstate dort an den "Virgin River", den ich schon seit dem "Lake Mead" an meiner Seite habe, und windet sich abenteuerlich in Canyons und an Berghängen durch einen opulenten Gebirgszug, bis bei St. George in Utah die nächste größere Senke erreicht wird. Eine in Terassen verlaufende majestätische Landschaft tut sich auf, in der sich so manche der bekanntesten Nationalparks der USA versammeln.

 

Ich werde mich aus Zeitgründen auf den "Zion Nationalpark" und den Bryce Canyon" beschränken müssen, da mein Flug von "Salt Lake City" nach "Santiago de Chile" für den 28.10. gebucht ist. Da möchte ich dann durch einen etwa 300 Kilometer-Umweg keine Hektik oder sonstigen Stress mehr aufkommen lassen.

 

Zunächst aber empfängt mich "St. George", Utah mit einem Schock. In einem Anflug geistiger Umnachtung oder vielleicht auch aufgrund der strapaziösen Arizonaepisode lege ich meinen Geldbeutel nach dem Einkauf an einer Tankstelle hinten auf mein Gepäck und vergesse später, ihn in die Lenkertasche an seinen angestammten Platz zu packen, bevor ich weiterfahre. Im Folgenden halte ich mehrfach an um Photos zu machen oder auf den Stadtplan zu schauen und erst nach einer Stunde, als ich endlich am Supermarkt ankomme, merke ich, dass mein Portemonnaie nicht da ist wo ich es erwarten würde. Ich versuche mir in Erinnerung zu rufen wo ich das liegengelassen haben könnte, komme aber erstmal zu keinen klaren Idee. Also fahre ich die Strecke der letzten Stunde zurück und "scanne" den Straßenbelag, den Bordstein und auch Teile des Bürgersteigs mit meinen "Adleraugen". Irgendwie glaube ich, den noch wiederfinden zu können. Immerhin ist er "Aspahltgrau" und somit für uneingeweihte Augen nicht leicht zu entdecken. So fahre ich die Strecke der letzten Stunde in etwa einer halben zurück und je weiter ich ergebnislos fahre desto mehr kommen mir die Konsequenzen in's Bewußtsein. In den letzten Wochen wurde ich etwas nachlässig mit meiner Ordnung und nun befinden sich beide Kreditkarten und die Bankcard mitsamt sämtlichem Bargeld in dem verlorenen Gegenstand. Schöne SchANDE!

Ich bin schon fast am Ende meiner Suche, als ich als letzte Möglichkeit in die Tankstelle gehe und frage, ob jemand ein graues Portemonnaie abgegeben hat. Und da lächelt mich das Mädel an der Kasse an und meint: "Oh, you are Michael, right? Someone brought in your wallet some hours ago." (Oh, sie müssen Michael sein. Jemand gab ihren Geldbeutel vor Stunden hier ab.)

Mir fallen mehrere Tonnen Steine vom Herzen. Alles ist noch drin - selbst das Bargeld. Und der ehrliche Finder hat nicht mal einen Namen hinterlassen. (Ob das ein Mormone war? Aber dazu später.)

Am nächsten Tag stecke ich einen "Zwanziger" in die Charitybox meines nächsten Supermarktes um mich für die Ehrlichkeit der Leute in "St. George" zu bedanken. "Nochmal Glück gehabt!"

 

Nach Beendigung des Government Shutdown sind die Nationalparks jetzt natürlich die reinsten Publikumsmagneten. Alles holt jetzt das nach, was in den letzten Wochen nicht möglich war. Demnach sind die Campsites im Park auch schon alle ausgebucht als ich abends ankomme. Ich zelte auf einem - gar nicht mal so schlechten - privaten Campsite direkt am "Virgin River". Ja, genau, es ist immer noch der selbe Fluß, an dem ich in den letzten Tagen meine paar Hundert Höhenmeter abgerissen habe. Allerdings ist er hier in einen unwahrscheinlich atmosphärischen Canyon gebettet, an dessen per Straße befahrbahrem Ende, ein Wanderweg beginnt, der noch weitere 20 km am Fluß entlang führt. Dabei muss man allerdings mehrfach den Fluß furten, was bei kühlen Herbsttemperaturen von 10°C am Vormittag ganz schön Überwindung kostet, wenn nicht sogar wirklich schmerzhaft sein kann. Ein paar Querungen mache ich noch, dann entschließe ich mch zur Umkehr. Ich habe ohnehin nicht den Proviant für die ganze Strecke dabei und mein Rad steht unten am Canyoneingang unbewacht. Der Vorteil dieses Teils des Parks ist aber ganz klar die geringe Verkehrsdichte.

Im "Zion" läuft es nämlich während der Hauptsaison so, dass grundsätzlich keine PKW oder sonstige kommerzielle Fahrzeuge im Canyon zugelassen sind. Dafür gibt es einen Shuttle-Service im 10- bis 15-Minutentakt. Dieser besteht aus Kleinbussen mit je einem Anhänger. Die Fahrer kommentieren ihre Route live in sehr unterschiedlicher Art und Weise, aber meist durchaus unterhaltsam. Die Benutzung ist mit den 20$ Eintritt bereits abgegolten. Das heißt jeder steigt an den Haltestellen ein und aus wie er will. Und natürlich sind die Fahrradfahrer mal wieder die Ausnahme. Man darf mit dem Rad in den Canyon, allerdings sind die Busse instruiert nicht zu überholen. Man erwartet von den Radlern stattdessen ein Abstoppen am Straßenrand, um die Busse sicher passieren zu lassen.

Da ich plane, noch am selben Nachmittag den Park über den westwärts orientierten Pass zu verlassen, nehme ich den Park&Ride Service gerne an und lasse mich kutschieren. Nach all den Wochen auf dem Rad ist das schon etwas eigenartig. Besonders ärgerlich ist die Tatsache, nicht einfach dort anhalten zu können wo die guten Motive lauern, sondern entweder durch die Scheibe oder in der Nähe der Haltestellen fotografieren zu müssen. Aufgrund der relativ frühen Morgenstunde ist es im Canyon ohnehin noch ziemlich dunkel und kalt. Das beste Licht hat man hier wahrscheinlich am frühen Nachmittag.

Die Steilwände ragen oft senkrecht mehrere Hundert Meter aufwärts. Oben türmen sich dann eigentümliche Zacken wie Statuen oder Galeonsfiguren. Die Farbe der Felsen reicht von Rot über Grau bis Weiß und Gelb. Im Tal herscht eine üppige Vegetation entlang des "Virgin River" (einschließlich jeder Menge Damwild, dass seelenruhig an der Straße äst.). Nach drei Stunden im kühlen Canyon kehre ich zu meinem Fahrrad zurück, packe mein Gepäck und dabei fällt meine kleine Minzölflasche zu Boden und zerspringt in tausend Scherben.

Wenige Minuten später steigt ein älteres Paar aus einem der Shuttle-Busse und riecht interessiert und witternd in der Gegend rum. Schließlich fragen sie mich, ob ich das auch wahrnähme. So ein spezieller Geruch.

Irgendwann wird mir klar, was sie meinen. Meine Hände und Teile meiner Lebensmitteltüten haben mittlerweile alle diese gewisse "After Eight"-Fahne. Ich deute kurz auf die Flecken auf dem Pflaster und die notdürftig zusammengekehrten Scherben und meine: "No, I think you smell my broken Mint-Oil-Bottle. It's not a natural scent here.". (Nein, ich glaube sie riechen meine zerbrochene Minzölflasche. Der Geruch ist hier nicht heimisch.)

 

Zwei Tage später erreiche ich den "Bryce Canyon". Auch hier sind die Zeltplätze bereits vergeben und mangels eines Frühwarnsystems radle ich etwa 8 km wieder zurück, bevor ich wieder auf einem privaten Campsite unterkomme. Ich bin der einzige Zelter und stelle mich extra weit von den Wohnmobilen weg. Das sollte mir in der Nacht dann aber zum Verhängnis werden.

Etwa gegen 2 Uhr in der Nacht werden die Enten auf dem nahen Teich unruhig und ich höre dumpfe dunkle Laute. Es ist unverkennbar. Ein Bär geht um! Und das bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Ich packe meine Lebensmittel in einen Ortliebsack und lagere sie draußen an der Picknickbank in der Nähe meines Rades.Schließlich soll der Bär nicht auf die Idee kommen in mein Zelt einzusteigen.

Er ist aber auch die nächsten zwei Stunden sehr mit dem Teich und den Enten beschäftigt. Da ich unter diesen Umständen nicht schlafen kann, mache ich ich mit meinem iPod und einigen Klamotten in den Sanitärraum in der Nähe. Dort funktioniert auch das WiFi und so erledige ich einige Korrespondenz und schlage mir die Nachtstunden mit "Spiegel-Online" und den sonst üblichen Verdächtigen um die Ohren. Aber auch, als ich zwei Stunden später wieder in meinen Schlafsack krieche, ist das Tier noch zugange. Irgendwann kommen die Grunz und Stöhnlaute etwas näher doch dann höre ich massives Rütteln an den Mülltonnen in etwa hundert Metern Entfernung.

Irgendwann schlafe ich dann doch ein und wache am nächsten Morgen erleichtert auf, dass das Zelt noch steht und auch mein Ortliebsack mit dem Proviant ist unangetatstet.

 

Am nächsten Tag speche ich in der Rezeption kurz den Bären an. Niemand hat bisher was gemeldet. Eigenartig. Ich würde annehmen, dass man zumindest das Mülltonnengerütttel auch noch locker in einem Wohnmobil wahrnehmen kann.

 

Dann treffe ich am "Bryce Canyon" "Rob" aus Holland. Er organisiert seit Jahren Radtouren in Nord- und Südamerika und ist gerade nach einer 8-wöchigen Tour vom "Banff-Nationalpark" in Canada zum "Grand Canyon" in Arizona, noch einige Tage auf eigene Faust unterwegs.

http://www.bike-dreams.com/BD/EN/04_Contact_00_Home.htm

Rob macht dann auch den Vorschlag uns beim Radfahren zu fotografieren. Da kommt dann die Kulisse des "Red Canyons" ganz gelegen.

 

Aber zurück zum "Bryce Canyon". Es ist hier genau das Gegenteil vom "Yosemite". Man besichtigt den Canyon vom oberen Rand und kann auf wenigen, oft gesperrten Pfaden in die Tiefen hinabsteigen. Die Hauptformation mit dem Namen "Amphitheatre" ist wohl eine der beeindruckendsten Felsformationen, die ich je gesehen habe. Mit etwas Pantasie und dem richtigen Ausschnitt wirken manche Felsnadelareale wie die 3D-Bilder aus den 90er-Jahren. Es hat etwas Hypnotisches.

 

Nach "Salt Lake City" geht es jetzt drei Tage fast nur bergab durch idyllische Herbstlandschaften und kleine verschlafene Orte. Es ist die frühere Wirkungsstätte von "Wyatt Earp" und "Billy The Kid". In einer Pizzeria entdecke ich eine Karte von Utah, in der jeder Mord, jede Hinrichtung und jeder blutige Postkutschenüberfall, sowie die Banküberfälle eingetragen sind. Da war ganz schön was los, in dieser menschenleeren Gegend.

AZ
AZ
"Freeway" in das Bergmassiv
"Freeway" in das Bergmassiv
mittendrin
mittendrin
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Blick auf den "Virgin River"
Blick auf den "Virgin River"
Welcome to Utah
Welcome to Utah
St. George, Airport
St. George, Airport
St. George, Tempel
St. George, Tempel
"Hurricane"
"Hurricane"
Am "Virgin River"
Am "Virgin River"
"Zion Nationalpark"
"Zion Nationalpark"
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Büffel
Büffel
"Hatch"
"Hatch"
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der "Red Canyon" aus der Ferne
der "Red Canyon" aus der Ferne
... aus der Nähe
... aus der Nähe
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"Bryce Canyon - Amphitheatre"
"Bryce Canyon - Amphitheatre"
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"Bryce Canyon Lodge"
"Bryce Canyon Lodge"
Ich im "Red Canyon" taken by Rob
Ich im "Red Canyon" taken by Rob

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