2.8. Las Vegas

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Der "Veterans Memorial Highway" führt mich  nahe am "Death Valley" vorbei. Leider ist es ein Nationalpark und wegen des nach wie vor anhaltenden "Government Shutdown" kein "sicheres" Terrain, da manche Straßen einfach gesperrt sein können. Also halte ich direkt Kurs auf Las Vegas. Nicht weil ich da unbedingt hinmöchte, aber es liegt quasi unvermeidbar auf dem Weg und so mache ich aus der Not eine Tugend und gebe mir mal einen Abend und eine Nacht in der weltgrößten Zocker-Metropole.
Es ist schon erstaunlich was in dieser Stadt Wand an Wand koexistiert. Protz und Prunk neben Armut und Elend. Hedonismus und Kommerz neben Yoga und Selbstverwirklichungskursen. Die Menschen machen allerdings nicht so einen gehetzten Eindruck wie in vielen der anderen von mir erlebten Großstädte der USA. Das liegt aber wohl vor allem daran, dass die meisten Leute hier Touristen sind und gerade Urlaub haben.

Tageszeiten spielen kaum eine Rolle, da sowieso das meiste rund umd die Uhr, sieben Tage die Woche aufhat. Allerdings merkt man einen deutlichen Unterschied zwischen der täglichen Schönwetter-Flanier und Schopping-Phase und der nächtlichen Ausgeh-Casino-Showevent-Phase. Die Leute, die Touristen, sind die selben, aber sie verfolgen verschiedene Ziele. Tagsüber mit vollen Einkaufstaschen im Cafe und nachts im feinen Tuch auf der Flaniermeile und in den angesagten Locations.
Die Casinowelt in Vegas hat einen Generationssprung hinter sich. In der "Downtown-Area" befindet sich die "Fremont Street", eine inzwischen vollständig überdachte Fußgängerzone, die voll mit Spielhallen, Restaurants und Bars ist, und für das "historische" Vegas steht. Der Clou dabei ist, dass dort immer noch viel passiert. So wurde zum Beispiel die gesamte Überdachung auf der kompletten Länge von etwa einem Kilometer mit einem riesigen LED-Screen ausgestattet auf dem nachts Computeranimationen ablaufen.
Die andere Zone ist der "Strip". Eine mehrere Kilometer lange Straße die von fast von Downtown bis zum Flughafen reicht. Dort tummeln sich die "schneller-höher-weiter"-Etablissements der letzten drei Dekaden. Riesige Hotelbauten mit bis zu fünftausend(!) Zimmern pro Etablissement, wie das "Bellagio" oder das "Venetian" widmen sich einer plastikmäßigen und stark verkürzten Reproduktion italienischer Baukunst. Auch Paris mit einer gar nicht mal so kleinen "Eiffelturm"-Kopie, Luxor mit einer schwarzen Glaspyramide und sogar rein literarische Vorlagen wie die Schatzinsel (Treasure Island) von R.L. Stevenson existieren hier quasi Wand an Wand wie die verschiedenen Tiere in einem Zoo.
Allerdings ist eben nichts echt. Allen gemeinsam sind drei Dinge: Hotel, Casino, Show.
Das "High"light der Stadt ist sicherlich der 350 meter hohe Stratosphere Tower. Neben einem Drehrestaurant und zwei Aussichtsstockwerken befinden sich dort oben die drei höchstgelegenen Fahrgschäfte der Welt. Eines davon ist eine Art Highspeed-Karussell, dass in etwa 300 Metern Höhe an der Turmaußenseite seine Fahrgäste über dem Abgrund durch die Luft wirbelt. Weiterhin gibt es einen Freefallbereich, wo man sich über 250 Meter in die Tiefe stürzen lassen kann. (Alles nix für mich.)

Ich genieße es, mich mit dem Fahrrad zwischen all den Menschenmengen und Bussen, Taxen und PKW hindurch zu lavieren. Das Fotografieren macht bei der Vielzahl von Beleuchtungen natürlich ungeheuer Spaß, auch wenn, oder viellecht auch gerade weil,  alles nur eine riesige Kulisse ist.

Mit meinem Motel habe ich leider etwas Pech. Der Preis von 55$ ist für Vegas an einem Dienstag nicht schlecht und die Zimmer sind sauber und gut ausgestattet, aber der junge Mann an der Rezeption scheint mich irgendwie nicht leiden zu können.
Auf meine Frage, ob es bei zwei Nächten billiger würde, antwortet er, er könne noch nicht sagen wie es morgen aussieht. Es könne auch teurer werden.Dann bitte ich um ein Nichtraucherzimmer im Erdgeschoss wegen des Fahrrads. Nein, leider alles belegt!
Ich beziehe also mein Zimmer im ersten Stock und finde es zunächst sehr geräumig mit einem Extraraum zwischen Zimmer und Bad. Doch mit der Zeit merke ich, dass der gesamte hintere Teil dauerhaft vibriert, als wäre ich auf einem Ozeandampfer nahe dem Maschinenraum.
Ich frage den jungen Herren an der Rezeption, was das sei, und ob das später aufhören würde. "Oh, sorry, I didn't know this. But it will stop in the night. And if the TV is on, it's not that bad!" (Entschuldigung, das wusste ich nicht. Aber es wird nachts aufhören und wenn der Fernseher an ist, ist es gar nicht so schlimm!) Schon komisch, das man von etwas nichts weiß aber gleichzeitig das Ende der Belästigung und deren Linderung kennt.
"Na Danke!", denke ich mir und mache mich auf meine Runde durch die Stadt. Als ich einige Stunden später wiederkomme sitzt ein anderer Mann am Thresen. Ich gehe auf mein Zimmer, inspiziere kurz die Geräuschkulisse und die Vibration. Alles beim Alten! An der Rezeption ist es kein Problem, den Herrn zu einer Ortsbegehung zu überreden. "Oh, you are located right over the boiler-room!" (Oh, sie wohnen direkt über dem Heizungsraum). Zum Verständnis sei gesagt, dass Heizung hier Klimaanlage meint. Und die arbeitet hier immer irgendwie.
Jedenfalls ist es ganz leicht, zwei Zimmer weiter zu ziehen. Auch das nächste Zimmer wäre frei, aber noch zu nah an der Vibration. Und natürlich sind auch im Erdgeschoss fast alle Zimmer unbelegt. Es ist eben ein Dienstag in der Nebensaison.


Am nächsten Tag erfahre ich eine echte "Niederlage". Ich winde mich auf dem riesigen Raster aus des Stadt und fahre auf dem "Lake Mead Boulevard" stetig nach oben. Irgendwann erreiche ich die unspektakuläre Passhöhe und rausche in's Tal. Völlig beeindruckt von der Landschaft merke ich nicht, wie die Autos, die mich erst überholen, mir einige Minuten später wieder entgegenkommen. Und wenn es mir auffällt, denke ich an nichts Böses. Ausflügler halt. Autotestfahrt?
Nun ja, nach einigen Kilometern erreiche ich ein kleines Häuschen, vor dem jede Menge rote Absperrhütchen die Straße blockieren. Dahinter steht ein Federal Police SUV mit laufendem Blaulicht. Ich erfahre, dass das Lake Mead Areal eine "National Recreation Area" (ein nationales Erholungsgebiet) ist und wegen des Government Shutdown geschlossen. Auf meine Frage, warum sie nicht schon vorher auf die Sperrung der Straße hinweisen (nach der Passhöhe gibt es nur einen Nebenstraßenabzweig), kann er mir keine Antwort geben, aber als ich ihm klar mache, dass ich bis hierher etwa 90 Minuten über einen Berg geradelt bin und jetzt anscheinend keine Wahl habe, als alles wieder zurückzufahren, läßt er sich zumindest zu einem kurzen Funkgespräch mit seinem Supervisor hinreißen.
Dieser läßt mich dann fragen, wo denn mein Auto stünde. Ich bin etwas verblüfft und antworte wahrheitsgemäß, ich hätte kein Auto, nur mein Rad. Tja, und das war wohl die falsche Antwort. Hätte ich gesagt, ich muss nur noch zwanzig Meilen durch den Park und bin dann an meinem Auto, wäre da wohl was zu machen gewesen. Aber so...
Zähne zusammenbeißen und zurück.

Ich bleibe eine weitere Nacht außerhalb von Las Vegas und fahre am nächsten Morgen nördlich aus der Stadt zum Valley of Fire ("Nevada- Statepark", d.h. nicht vom Government Shutdown betroffen, da vom Staat Nevada betrieben).
Der Park verdankt seinen Namen einem breiten leuchtend roten Felsenband, dass sich durch die ansonsten gelbgrau- bis schwarze Landschaft zieht. Bei entsprechendem Sonnenlicht sieht das von weitem fast wie ein breites fließendes Lavaband aus.
Ich rausche gegen Abend zwischen den roten Bergkämmen in's Tal und campe auf einem der beiden Plätze. Es ist recht voll, was sicherlich an den geschlossenen Nationalparks liegt, von denen die Leute auf die Stateparks ausweichen. Der Platz ist voller "Betteltiere". Zunächst die niedlichen Antilopen-Sreifenhörnchen. Dann die Kaninchen, die förmlich eine Bettelpose einnehmen, indem sie "Männchen" machen und ihre Pfoten nach vorne strecken. Nicht besser treiben es die Spatzen, die jeden Krümel wegpicken, der irgendwo rumliegt, oder gerade irgendwo runterfällt. Und als dann nachts noch ein abgemagerter Wüstenfuchs vorbeikommt, fühle ich mich doch irgendwie im falschen Film. Die logische Konsequenz wäre jetzt, dass ein paar dunkelhäutige Sunnyboys mit nacktem Oberkörper und in Bermudas und Sandalen, versuchen mir Billigkettchen oder überteuerte Snacks und Getränke zu verkaufen. Da ist mir doch jeder Bär lieber, denke ich noch, sollte aber eine gute Woche später am Bryce Canyon vom Gegenteil überzeugt werden.

Das "Valley of Fire" ist einer der Orte, den nur wenige kennen, und der doch an viele der naheliegenden Nationalparks erinnert. Da kommt es auch nicht von ungefähr, dass ich mitten in die Dreharbeiten eines neuen Audi-Werbespots platze. Der Regieassistent stoppt mich noch rechtzeitig und bittet mich, etwas zu warten bis die Filmkolonne das Ende des "Sets" erreicht hat. Amtliche Unterstützung erhält er dabei durch die Anwesenheit eines ansonsten eher abwesend wirkenden "Hilfsdeputy's". Wenig später kommt dann auch der Regisseur kurz vorbei und entschuldigt sich für die Verzögerung. Mit seinem Assistenten lästert er über das Kamerateam, dass wohl zum ersten Mal mit einem Auslegerkran auf einem Begleitfahrzeug arbeitet. Die hätten bisher ja nur Musikvideos gedreht und sowas von keine Ahnung. "Never-ever-again", (niemals wieder!)

Als ich am nächsten Tag den Park verlasse, erfahre ich, dass man sich in Washington geeinigt hat und der "Shutdown" damit zumindest vorerst beendet ist. Also mache ich mich beruhigt auf nach Utah. Dort liegt nämlich ein Nationalpark neben dem anderen genau an meiner Route.

"Las Vegas"
"Las Vegas"
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(es gibt wirklich alles hier...)
(es gibt wirklich alles hier...)
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"Treasure Island"
"Treasure Island"
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"Freemont Street"
"Freemont Street"
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Blick aus meinem neuen Motelzimmer
Blick aus meinem neuen Motelzimmer
bei Tag
bei Tag
Blick vom Pass
Blick vom Pass
"Lake Mead" von weitem
"Lake Mead" von weitem
Vegas von Norden
Vegas von Norden
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"Valley of Fire"
"Valley of Fire"
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Faces
Faces
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"Elephant Rock"
"Elephant Rock"
oder doch mehr "Mücke"?
oder doch mehr "Mücke"?
Felsritzungen
Felsritzungen
Bettler #1
Bettler #1
Bettler #2
Bettler #2
Bettler #3
Bettler #3
"Desert Bighorn Sheep"
"Desert Bighorn Sheep"
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"Audi"
"Audi"
"Overton"
"Overton"
kurz vor Utah
kurz vor Utah

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Kommentare: 1
  • #1

    Christine Klöckner (Samstag, 23 November 2013 01:14)

    Hey Michael
    Freue mich immer sehr von deinen spannenden, witzigen und auch mal anstrengenden Erlebnissen hier zu lesen.
    Wünsche dir noch weiterhin viel spass bei deiner Biketour und warte jetzt schon auf weitere beeindruckende Bilder.
    LG Christine