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Die letzten 300 Kilometer nördlich von San Francisco befahre ich eine Bilderbuch Küstenstraße. Die Gegend wird trockener. Nur manchmal kommt noch eine feuchte Waldzunge bis an die Küste runter.
Dafür schmiegt sich die Straße jetzt eng an die steilen macchia-bewachsenen Hänge und schraubt sich dabei ohne Leitplanke in schwindelerregende Höhen. Da ich nach Süden fahre bin ich immer schön
auf der Meerseite. Also dem Abgrund nahe, was bei den starken Windböen und dem Überholstil mancher Autofahrer durchaus nicht ungefährlich ist. Bisher wurde mir ja oft bestätigt, dass ich die
richtige Richtung von Nord nach Süd gewählt habe, da man dort immer auf der Aussichtsseite der Straße fährt. Ohne das vorher bedacht zu haben, muss ich zugeben, dass das nicht nur wegen der
Windrichtung, sondern gerade wegen der Optik einen entscheidenden Unterschied macht. Jetzt bei den steil abfallenden Hängen und den ungesicherten Fahrbahnrändern würde ich manchmal gerne
tauschen.
Ich komme durch verschlafene Touristenorte wie "Mendocino", übernachte das erste Mal auf dieser Reise in einem "echten" Hotel in einem sympathischen Städtchen namens "Tomales" und treffe in dem
quirligen Versorgungsort "Point Reyes" einen glatzköpfigen Mann, der mit seinem Hund Gassi geht, und genau die richtigen Tips für meine Weiterfahrt nach San Francisco hat. So komme ich nochmal
kurz in den Genuss einer verwaisten Eisenbahntrasse und schiebe mich problemlos durch die dichter werdenden Vororte bis nach Sausalitos.
Von dort erreiche ich San Francisco, wie geplant, gegen nachmittag über die "Golden Gate Bridge". Es ist ein majestätischer Anblick. Schon lange vor der Brücke eröffnen sich immer wieder Blicke
auf die weit entfernte Skyline der Metropole und einige andere Teile der "Bay Area". Die Brücke selbst ist voller Touristen. Viele sind mit Leihfahrrädern unterwegs, was angesichts des
nachmittäglich regelmäßig zunehmenden Westwindes, ein nicht ganz ungefährliches Transportmittel darstellt. Viele gehen schließlich vernünftigerweise zum Schieben über. Das erhöht dann allerdings
den Platzbedarf auf dem gar nicht so breiten Fußgängerbereich. Die Autos strömen hier übrigens auch auf sechs engen Spuren ohne Mitteltrennung und Seitenstreifen stadtein- und auswärts.
Die westliche, zum Pazifik gerichtete Seite ist in dieser Zeit übrigens nur für Radfahrer reserviert, aber das erfahre ich leider erst später von Heidi und Martin, meinen Gastgebern in "Little
Russia" einem beschaulichen und trotzdem zentrumsnahen Wohnviertel der Stadt. Die beiden sind meine erste Gast-Erfahrung mit "www.warmshowers.org", einer
Seite von und für Tourenradler, auf der die Mitglieder Serviceleistungen für andere anbieten können. Das geht von der warmen Dusche über Küchenbenutzung und Stadtführung bis zur Übernachtung mit
Vollpension. Selbstverständlich ist das alles nicht kommerziell. Das gesparte Geld verwende ich allerdings gerne für einen reichhaltigen Einkauf von Lebensmitteln für ein kulinarisch erlesenes
Abendessen. Es ist interessant, wie sich meine Einkaufsgewohnheiten konterkarieren indem ich plötzlich zu den teureren Produkten greife, wenn ich vor dem Regal die Wahl habe.
Heidi und Martin sind trotz ihrer typisch deutschen Vor- und Nachnamen, waschechte Amerikaner. Beide sind in San Francisco bzw. der Bay-Area geboren und aufgewachsen, haben aber natürlich
deutsche Vorfahren. So ist es auch kein Zufall, dass die beiden nächste Woche zu einer mehrwöchigen Deutschlandreise aufbrechen werden, bei der Verwandte in Berlin und Wolfenbüttel besucht
werden. Auch ein Abstecher nach Polen ist geplant.
Das Haus ist ein sehr gepflegter Bau aus den 50er Jahen mit vielen Fenstern und einem großen Garten. Die Zimmer, der beiden erwachsenen Kinder, nutzt Heidi während deren Abwesenheit, für die
Beherbergung von Radtouristen. Sie hat schon eine stattliche Anzahl an Gästen bewirtet und geniesst den Umgang mit den Reisenden und ihre Geschichten. Am zweiten Abend koche ich mt Heidi meine
Einkäufe zu einem Menü. Dabei trinke wir Rotwein und reden über's Segeln, das Reisen, San Francisco und ganz viel über's Kochen und Essen.
Beide sind begeisterte Radfahrer, von denen es in San Francisco mehr gibt, als man annehmen möchte, wenn man die teils sehr steile Topographie bedenkt. Martin fährt jeden Tag mit dem Rad zur
Arbeit und bekennt sich erstaunlich offen zu einer aggressiven Art des Radfahrens. Am nächsten Tag weiß ich was er meint. Es gibt zwar Fahrradwege, aber diese kreuzen und vermengen sich immer
wieder mit Rechtssabbieger- und Busspuren, so dass immer wieder brenzlige Situationen eintreten. Da hilft halt oft nur ein offensives Fahrverhalten.
Zu meinem Erstaunen werde ich hier mehrfach von anderen Radlern mit deutlich höherem Tempo überholt. Mit meinen gut 4000 Kilometern in den Beinen bin ich das so nicht gewohnt. Ich habe mein
Gepäck ja auch nicht dabei. Trotzdem habe ich keine Chance denen zu folgen.
Die Stadt pulsiert. Viele Werktätige, es ist Mitte der Woche, und genauso viele, wenn nicht sogar mehr, Touristen. Besonders an den Quais und in der Downtowngegend wimmelt es nur so von Menschen.
Das große Ereignis ist derzeit der America's Cup, quasi die Formel1 der Segelregatten. Sie findet dieses Jahr in San Francisco in der "Bay" (der Bucht) statt. Die Trophäe ist ein Wanderpokal und
die Rennen findet nicht in einem jährlichen Zyklus statt. Das Besondere diesmal ist, dass zum ersten Mal vor einem richtigen Publikum gesegelt wird, da die Strecke von Land aus gut zu
beobachten ist. Die Modalitäten dieses Rennens sind komplex. In den Vorrunden, dem "Louis Vuitton Cup" wird der Herrausforderer des Siegerteams vom letzten Mal (2010) ermittelt. Das
"Emirates"-Team aus Neuseeland und "Oracle" (USA) der letzte Sieger stehen dieses Jahr im Finale. Dieses besteht aus mehreren Rennen. Wer zuerst neun Siege für sich verbuchen kann, hat gewonnen.
Da zwischenzeitlich irgendwelche Manipulationen am Boot bei Oracle entdeckt wurden bekam das Team zwei Strafpunkte und hatte so quasi einen negativen Zählerstand. Eine Woche vor meiner Ankunft in
San Francisco stand es bereits acht zu eins für die Neuseeländer. Ein weiterer Sieg in den nächsten Tagen hätte gereicht. Aber es wurde spannend. Als ich dienstags eintreffe, hat Oracle gerade
auf acht zu acht gleichgezogen. Ich sehe von der Golden Gate noch, wie sich die Menschen am Ufer zerstreuen. Für den nächsten Tag, um 13:15 Uhr, ist dann jedenfalls das Finale angesetzt. Wer das
gewinnt, holt den Kelch.
Ich habe natürlich gerade dann ein Problem mit meinem Kamera-Akku, bzw. keinen geladenen Wechselakku dabei. Deshalb fahre ich aus der Stadt noch mal schnell nach "Little Russia". Ich schaffe es
gerade noch so die finale Phase des Rennens vom Berg aus zu beobachten. Alle Welt ist auf der Straße und sammelt sich an den zahlreichen Punkten, von denen aus man die Bucht überblicken kann. Und
dann kommen sie. Zwei riesige Segel rasen über die windgepeitschten Wellen. Es sind kolossale Katermarane, die bei hohen Geschwindigkeiten kaum noch Kontakt zum Wasser haben und Geschwindigkeiten
bis zu 75 km/h erreichen. Das Ganze geht so schnell, das ich es nicht glauben kann. Den Teil des Rennens, den ich gesehen habe, lag Oracle klar vorne bis in's Ziel. Wie ich später erfahren habe,
sah das aber zu Beginn ganz anders aus.
Naja, jedenfalls hat Amerika mal wieder gewonnen und im Vorübergehen höre ich dann doch einige hämische Kommentare wie: "They led eight to one, and in the end they lost, hahah!!" (Sie führten
acht zu eins und haben noch verloren, haha!"). Man muss dazusagen, dass der Gründer und Hauptsponsor des US-Teams, der Oracle-Chef Larry Ellison ist, der im SIlicon Valley, quasi einen Steinwurf
südlich von Frisco, sein Vermögen mit Software gemacht hat. Es kommt nicht von ungefähr, dass das Rennen hier stattfand, denn der Vorjahressieger bestimmt den Austragungsort. Und der hieß 2010
ja auch schon"Oracle". Das Budget der Teams beträgt übrigens bis zu 100 Millionen Dollar.
Ich habe einige Besorgungen zu machen. Ich brauche ein neues Standardobjektiv für meine Kamera, da mein 24-105mm Objektiv seit einer Woche spinnt. Ich weiß, dass, und sogar wie man es reparieren
kann, aber das notwendige Ersatzteil kann ich hier nicht bekommen, ohne eine gute Woche warten zu müssen. Außerdem fehlt mir das passende Werkzeug.
Demnach ist die zweite Aufgabe, ein Paket mit unnötigen und/oder defekten Dingen nach Hause zu schicken. Neben dem Objektiv sind da noch zwei schwächelnde Kamera-Akkus und mein iPad, dass leider
für das Bearbeiten dieses Blogs überhaupt nicht geeignet ist. Schon das Importieren und Bearbeiten der Fotos war sehr umständlich, aber an den Blog kam ich gar nicht ran. Die "Jimdo-App" hatte
dann die nette Empfehlung "You can edit this content easily with your computer" (Diese Inhalte können sie sehr einfach mit ihrem Computer bearbeiten). Na, dann nix wie her mit einem "Computer"
denke ich, und packe das iPad auch in die Kiste. Als Beigabe noch zwei Landkarten von Oregon und Canadas Osten und jede Menge Blisterfolie als Dämmung.
Blöderweise habe ich mein Adressbuch nicht mit auf dem Postamt und schicke kurzerhand das Paket an mich selbst, ohne daran zu denken, dass ja erstens der Zoll und zweitens die deutsche Post eine
persönliche Abholung fordern könnten. Ich stelle mich schon mal auf das faxen einer Vollmacht ein, aber es sollte sowieso anders kommen...
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Conny (Dienstag, 12 November 2013 21:44)
sehr schöne Eindrücke aus sunny California. Nun würde mich brennend interessieren, wie es in Salt Lake City war und natürlich der Wechsel auf die Südhalbkugel. Hast Du natürlich völlig richtig gemacht; hier zeigen sich nun die schrecklichen Seiten des kommenden Winters mit kurzen, nasskalten Tagen. Immerhin habe ich gestern noch im großen Stil Äpfel an der Ostsee geerntet (2 Bäume), von denen wiederum ein großer Teil am Freitag zu Saft verarbeitet wird. Es gibt also auch hier kleine Freuden... ¡Mucha suerte!