2.3. California

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Die Grenze von Oregon nach Kalifornien ist ein sehr unspektakulärer Ort. Obwohl es massive finanzielle Anreize gibt, in Oregon einzukaufen und zu Tanken, findet man an der Straße bloß einen einsamen Klein-Supermarkt, der nicht mal eine Zapfsäule hat. Eine Viertelstunde später werde ich dann aber Zeuge einer Verfolgungsjagd. Ein mit etwa 150km/h bretternder Sportwagen gefolgt von einem Sirenenheulenden Polizeiwagen kommen mir entgegen. Ob es das Fluchtfahrzeug noch bis zur Grenze schafft weiß ich nicht. Da mir allerdings in den nächsten fünf Minuten noch drei weitere quiekende und rot-blaubelichtete Polizeivehikel und der Countysheriff in seiner schwarzen Limousine entgegenkommen, scheint der Flüchtende wohl gestoppt worden zu sein. In den Medien finde ich nichts zu dem Vorfall.

Bereits einige Tage vorher in "Coos Bay" werde ich Zeuge, wie ein Polizist in etwa 20 Metern Entfernung einen Jugendlichen tasert, der nicht den seinen Anweisungen folgt. Es ist wie im Film. Der Polizist fordert den Jugendlichen mit hochrotem Kopf brüllend auf, sich auf den Boden zu legen. Nach der dritten Wiederholung des Befehls und dessen Nichtbefolgung durch den Angesprochenen, höre ich einen eigenartigen Knall, etwas Rauch steigt aus den Händen des Polizisten auf und der Jugendliche geht zu Boden. Schon ist der Polizist über ihm, dreht ihn auf den Bauch und fixiert die Arme auf dem Rücken mit Handschellen. In den nächsten Sekunden sprintet dann auch schon ein zweiter Officer um die Ecke. Scheinbar ging der Szene eine Verfolgungsjagd durch's Viertel vorraus und eine zweite Person konnte erfolgreich entkommen.
Immer mehr Leute gruppieren sich um die Szene, die sich nahe einer Tankstelle und eines kleinen SevenEleven-Shops abspielt. Neben der gesamten Verkäuferriege sind bald auch jede Menge Anwohner auf der Straße. Während der Gefesselte noch mehr oder weniger bewußtlos am Boden liegt, beginnen die Polizisten, die Leute zu befragen. Nachdem, was ich mitbekomme, suchen sie wohl nach Zeugen für einen Einbruch in der Nachbarschaft.
Auch wenn es mich sehr in den Fingern juckt, bleibt die Kamera in der Tasche.

 

Alles in allem mache ich mit den Ordnungshütern aber nur gute Erfahrungen. Die einzige Ausnahme erlebe ich während des "Government Shutdown" im Oktober, als mir mit einer selbstzufriedenen Großmäuligkeit falsche Informationen auf meine Fragen nach gesperrten Straßen gegeben werden. Das spielt sich aber mehr im Landesinneren ab. Dort ist man dann schon im wilden Westen und eine gewisse Cowboy-Coolness absolut üblich. Ansonsten wird man freundlich begrüßt und des öfteren werde ich gefragt ob alles ok ist, wenn ich mal wieder an einer Leitplanke, die übrigens einen perfekten Fahrradabstellplatz samt Sitzgelegenheit abgeben,  eine Pause mache.

 

Die Küstenstraße wird in Kalifornien bergiger. Ich komme durch große Redwood-Wälder. Stammdurchmesser von drei bis fünf Metern sind hier keine Seltenheit. Die größten Exemplare sind mehrere tausend Jahre alt. Das heißt, die standen schon lange vor der "Entdeckung" Amerikas durch Columbus da und leben immer noch. Mit bis zu hundert Metern Höhe bilden sie ein immenses Waldgewölbe in das die Sonne nur noch selten bis zum Boden scheint. Dementsprechend kühl und feucht ist das Klima. An kälteren Tagen, frühmorgens oder abends fährt man dann halt mal ein bis zwei Stunden wie im Eisschrank. Das Zelten unter Redwoods ist eine unglaubliche Erfahrung, da man wie unter einem lebendigen Dach, daß weit über einem hängt, umgeben von massigen Baumstämmen und einem leichten Rauschen in seinem Zelt liegt und die nahen Geräusche in einer gedämpften Waldakustik wahrnimmt. Ich schlafe dort wie ein Stein.

 

Zwei besondere Orte an der Küste, die unterschiedlicher kaum sein könnten möchte ich kurz erwähnen. EInerseits "Eureka": Mit gut 25.000 Einwohnern ist man hier schon eine kleine Metropole. In der Nähe liegt auch noch die Studenten- und Universitätsstadt "Arcata" und deshalb brummt hier das Leben. Neben dem geschäftigen Treiben in der Stadt gibt es aber auch eine große Zahl von Obdachlosen, die sich an diversen Ecken sammeln und bei strahlendem Sonnenschein wie Schatten durch die Straßen huschen. Es hat teilweise etwas Unheimliches. Ich treffe dort "Lew Paz", einen Schriftsteller, der mir etwas über die Stadt und das "Carson Mansion", das wohl bekannteste viktorianische Gebäude in Californien, erzählt.

Der andere Ort ist Ferndale. Er liegt etwas abseits der Küste und hat nicht mal 1.500 Einwohner. Allerdings ist der Ortskern eine vollständige Ansammlung von viktorianischen Häusern aus dem vorletzten Jahrhundert. Gleichzeitig hat es aber nicht die Austrahlung einer "Puppenstube" sondern den authentischen Charme einer lebendigen amerikanischen Kleinstadt. Ich kann mich nicht erinnern auch nur einen Andenkenladen gesehen zu haben und die Zuhörer beim Country-Konzert im Saloon waren die ortsansässigen Senioren.

Ich zelte an den "Fairgrounds", dem Messegelände. Zweimal im Jahre ist hier eine riesige Viehauktion. Ich darf mein Zelt hinstellen wo ich will, während die Wohnmobile ein Extra-Areal haben. Das ist zunächst mal ganz nett. Allerdings hat man vergessen, mir zu berichten, das bei Anbruch der Dämmerung ein Fahrtraining der freiwilligen Feuerwehr stattfindet. Das klingt zunächst ja noch interessant und ich mache auch noch ein paar Bilder. Als dann aber geschlagene drei Stunden die Leiterwagen, Tanklaster und sonstige Vehikel mit Blaulicht und Sirenen um mein Zelt kreisen, bin ich doch etwas entnervt.

 

 

Nach mehreren Tagen im Landesinneren und einem Doppel-Pass mit bis zu 1200 Metern erreiche ich gegen Abend wieder die Küste und treffe bei bestem Fotolicht (Abendsonne) auf "Cliff Danger" und "Lucy". Cliff kommt aus Portland und ist mit Lucy, die aus Weissrussland stammt, unterwegs zu Google in's "Silicon Valley" um ihre gemeinsame Fernostreise einem Gremium vorzustellen, wofür auch immer ....
Ein Teil des Konzepts besteht darin, dass sich Wegbekanntschaften zusammen mit Lucy von Cliff fotografieren lassen und sich als kleines Gimmick vorher noch eine Hasenzahnprothese aus Plastik in den Mund quetschen.
Bei diesem Fotolicht und einer absolut fantastischen Pazifikkulisse kann ich natürlich nicht "nein" sagen. Also presse ich mir die Zähnchen zwischen Oberkiefer und Oberlippe, lehne mein Rad an Lucy an und lasse mich mit ihr fotografieren. Ach so, "Lucy" ist ein etwa vierzig Jahre altes Motorrad der Marke "Minsk" aus Belarus. Cliff hat lange gebraucht, dass in Amerika zu registrieren.

 

Auffällig in den größeren Städten der Westküste ist die große Zahl der oben schon erwähnten "Homeless People", die mit ihren Kinder- und Einkaufswagen durch die Straßen ziehen, sich tagsüber in die Schlangen vor diversen Suppenküchen einreihen und nachts in irgendwelchen Ecken ihr Lager aufschlagen. Die Atmosphäre ist hier sehr wohlwollend. Die Leute sind hilfsbereit und tolerant und gestatten so etwas wie eine Parallelgesellschaft der Obdachlosen. Trotzdem merkt man immer wieder eine gewisse Scham. Blickkontakt wird meist schnell abgebrochen oder ganz vermieden. Beim betteln, was eher selten ist, schaut man gerne auf den Boden. Die gescheitereten Lebensgeschichten kann man auf kleinen Zetteln bis hin zu großen Pappen lesen. Manche versuchen auch aus der Politik Kapital zu schlagen in dem sie Statements wie "Obama brought me here" (Obama brachte mich hierher) oder "Don't need health-care, need a  job! (Brauche kein Gesundheitssystem, brauche Arbeit!). Andere wiederum wurden von den Banken um ihre Häuser, Pensionen und Lebensversicherungen gebracht. Sie haben oft den Slogan "I'm one of the 99%" der Occupy-Bewegung auf ihren Schildern. Gemeint ist damit das Ungleichgewicht zwischen dem einen Prozent der Reichen, die etwa 36% des Vermögens besitzen und häufig nicht mal Steuern zahlen, gegenüber den 99% der Mittel- bis Unterschicht, die regelmäßig und ehrlich ihre Abgaben entrichten und dann Opfer betrügerischer Hypothekenpraktiken der Banken werden. Die "Deutsche Bank" ist da übrigens ganz weit vorne mit dabei.

California
California
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"Under The Bridge"
"Under The Bridge"
Eureka "Carson Mansion"
Eureka "Carson Mansion"
Eureka - Straßenszene
Eureka - Straßenszene
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Felsen
Felsen
Wasser, Erde, Luft
Wasser, Erde, Luft
Bei den Redwoods
Bei den Redwoods
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Im "Redwoodhouse"
Im "Redwoodhouse"
"Ferndale"
"Ferndale"
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Feuerwehr Training
Feuerwehr Training
Im Hinterland
Im Hinterland
Wieder am Ozean
Wieder am Ozean
Nördlich von "Westport"
Nördlich von "Westport"
Campsite
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