2.1. Portland, Oregon - "The smiling City"

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... es sind etwa 10 Meilen durch die Nacht. Da Portland aber auf einem Raster gebaut ist, sollte es eigentlich nur eine Zeitfrage sein, bis man die 74. Avenue South-East gefunden hat. Leider hat das Gitter Aussetzer und die Hausnummern erst recht. Nach der 24 folgt die 85 und dann die 112. Bei 382 ist die Straße dann erstmal wieder zu Ende. Auf meinem iPod sehe ich jedoch, dass einige Blocks später die 74. Avenue weitergeht und da ich die Hausnummer 4540 suche überspringe ich gleich mal einige Kästchen und merke allmählich, das zehn Meilen ja doch gute sechzehn Kilometer sind.

Gegen 3:00 Uhr treffe ich ein. Im Garten brennt Licht, das Tor ist offen. Ich suche mir einen Platz für's Zelt, baue auf und falle umgehend in Tiefschlaf.
Einige Stunden später holen mich seltsame Geräusche aus meinem Schlummer. Es klingt wie ein allmählich anlaufender Minimotor mit ständigen Unterbrechungen. Dann werden es mehrere Motoren. Eine Horde Mofarowdies, die um mein Zelt kreist? Nein, beim nächsten Erwachen erkenne ich Vogellaute. Das ist morgens nichts besonderes, da ein abends aufgebautes Zelt in der Vogelwelt am nächsten Morgen gern Anlass für massive Protestaktionen gibt. Nur habe ich diese Art Vögel noch nie morgens gehört. Nach der nächsten Schlafphase erkenne ich dann Hühnergegacker und nun weiß ich auch wieder wo ich bin. Ich drehe mich beruhigt um und schlafe weiter.

Etwa um neun Uhr krieche ich aus meinem Zelt da die Sonne mir sehr einheizt und wundere mich über die Umgebung, die ich ja bisher nur nachts kannte. Ich stehe im Garten eines kleinen etwas heruntergekommenen Hauses. Über mir thronen zwei bestimmt 80-100 Jahre alte Bäume mit mindestens 40 Höhenmetern. Einer von beiden ist leider krank und tropft die ganze Nacht mein Fahrrad voll. Es ist aber eine sehr leicht zu beseitigende Flüssigkeit, nicht harzig und nicht klebrig. Es riecht hier ganz anders als an der Ostküste. Es ist trocken, um nicht zu sagen ausgetrocknet, der Boden liegt voller langer Baumnadeln, die eine dezente Kiefernote von sich geben und ganz dezent mischt sich eine Spur Eukalyptus in das Duftpanorama. Insgesamt sorgt die trockene Atmosphäre für eine gewisse Transparenz, was die Gerüche angeht. Es fällt irgendwie leichter paralelle Düfte getrennt wahrnehmen zu können.

Dann kommt Erin aus dem Haus, stellt mir kurz die zwei Katzen vor und führt mich eine kleine Runde durch's Haus. Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Arbeitszimmer und Bad. Ihre Infos im Telegrammstil: Sie haben gerade in der Nähe von Boston geheiratet. - Sie haben früher beide in Boston gelebt. - Nach einer fünfmonatigen Radtour von Ost- nach West-USA mit Freunden, haben sie beschlossen in Portland zu bleiben. "We moved in here with our bicycles and the panniers" (Wir sind hier mit unseren Rädern und Satteltaschen eingezogen.)

Matt ist Brauer und arbeitet in einer lokalen "Microbrewery" und Erin hat einen Job in einer Bar. Das bedeutet, er arbeitet von 8-16 Uhr und Sie von 19-3 Uhr. Aber es gibt ja die Wochenenden und außerdem ist so immer jemand zu Hause um sich um die Tiere zu kümmern. Vor Allem Doug, der Hund, den Erin gerade von Freunden geholt hat, ist ein sehr nach Aufmerksamkeit heischender Geselle. Er ist ein LA Straßenhund, zwei Jahre alt und hat ein nie zur Ruhe kommendes Naturell ist gleichzeitig aber sehr zutraulich. Einen Tag später werde ich ihn stundenlang mit einem blauen Plastikball durch den Garten hetzen. Und auch da ist er ein echter Nimmersatt!
 
Matt verschafft mir am zweiten Abend einen gründlichen Überblick über die lokale Bierkultur. Von IPA ("Indian Pale Ale") über "Pilsener" und "Lager" bis zum bernsteinfarbenen und würzigen "Amber" kommt all das auf den Tisch, was wir zuvor im Supermarkt eingekauft haben. Dabei sind alle Biere von sogenannten "Microbreweries" (Kleinbrauereien), von denen es an der gesamten Westküste nur so wimmelt. Viele der Radfahrer die ich hier treffen werde, verbinden die Tour abends mit einer "Bierprobe". Der Reiz liegt vor allem darin, dass viele Biere gar nicht im Handel erhältlich sind, sondern ausschließlich in Brauereischänken und einigen wenigen ortsnahen Lokalen erhältlich sind. Dadurch spart man sich dann auch die Abfüllanlagen für Flaschen, da der Gerstensaft direkt vom Fass in's Glas und von dort in den Konsumenten gelangt.

"Portland" ist wohl die sympathischste Stadt, die mir bisher begegnet ist. Die Leute sind freundlich, gut gelaunt, hilfsbereit, interessiert und interessant. Und sie lächeln wie die Weltmeister. Ich hatte anfangs das Gefühl als hätte ich einen Smiley auf der Stirn. Anders konnte ich mir die ganzen lachenden Gesichter nicht erklären. Der Kontrast zum geschäftigen, coolen und unerbittlichen "Boston" könnte kaum größer sein. Auch Erin und Matt bestätigen mir, daß sie die selben Eindrücke hatten, als sie hier ankamen. Erin meint noch, dass sie gegen Ende des ersten Sommers irgendwann mitten in der Nacht wegen eines völlig ungewohnten Geräusches aufgewacht sei. Matt mußte ihr dann sagen, daß es bloß Regen ist, der auf's Dach trommelt.

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