1.13. Boston, Massachusetts

...

Ab 4Uhr kommt etwas Leben in's Terminal A. Hier fliegt man national (domestic) mit Delta. United und Alaska Air.

Als ich was vom Fahrrad erzähle, werde ich gleich zu einem Sonderschalter weitergeleitet.

Nach zwanzig Minuten warten kommt dann Rebecca B, die Diensthabende und meint nur, das Rad könnten sie so nicht transportieren. Sie lässt sich auch auf keine Diskussionen ein, hat aber auch keinerlei Lösungen oder Ideen parat. Auch die andere Servicekraft, die aus Unsicherheit ihre Vorgesetzte geholt hat, macht allmählich dicht. Mit verschränkten Armen stehen sie beide vor mir und tun nichts. Also fange ich an zu fragen. Eine Lösung muss her. Der einzige Vorschlag der beiden ist: ich könnte es ja mal bei den anderen Fluggesellschaften versuchen. Wenn die beiden anderen im Terminal auch keine Kisten haben, könne ich ja mal in den anderen Terminals schauen. Davon gibt es in Boston noch weitere vier (B, C, D und E, jeweils mit beträchtlichen Laufwegen durch das zentral gelegene Parkhaus, oder über andere verschlungene Korridore). Ich frage nur kurz, da ich die Antwort schon ahne, ob ich mein Rad und das Gepäck so lange hier lassen könne? Nein, das sei aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Entschuldigend kommt dann noch: "since 9/11".

Kurz gefasst: ich finde mich damit ab, 110€ in den Sand gesetzt zu haben und werde um's Verrecken nie wieder mit Delta fliegen. (Alitalia ist bisher auf der Liste und witzigerweise haben die mit Delta und einigen anderen Fluggesellschaften wie zB KLM eine Kooperation.) Tragischerweise habe ich mein Delta-Ticket von "Salt Lake City" nach "Santiago de Chile" schon in der Tasche. Aber das war dann das allerletzte mal, versprochen. Außerdem weiß ich jetzt, was mich erwartet.

 
Also Rad wieder ausgepackt. Es ist noch Zeit bis zum Sonnenaufgang. Dann fahre ich am frühen Samstag Morgen durch Boston. Allein die Fotos waren den verfallenen Flug schon wert. Völlig übermüdet zum Fahrradladen. Nette Leute, etwas "bostonian cool", aber im Grunde Super ok. Karton ist ab 13:00 Uhr zu haben. Skyscanner sagt mir, die letzten Flüge nach PDX (Portland, Oregon) gehen um 18:00 Uhr. Finde einen United-Flug und ein Café mit Wifi aus der Pizzeria nebenan.

Der Barista ist ein ausgesprochen ADS-mäßiger Typ, der viel und schnell redet, einem nicht länger als eine Sekunde in die Augen kucken kann aber auf geniale Art und Weise zur laufenden Musik mitsingt und pfeift. Die Gitarrensoli pfeift er so sauber intoniert mit, dass ich ihn schließlich frage, ob er Musiker ist. Ja, er ist Gitarrist, hat auch viel in Bands gespielt und unterrichtet und genießt es jetzt, das als Hobby machen zu können. Er ist Dream Theater Fan (das neue Album erscheint in zwei Wochen), übt viel Technik und exotische Skalen. Ich kann mir lebhaft vorstellen wie er spielt.

 


Schlage die Zeit mit einer müden Tour durch Südboston tot, finde kein Cafe wo man in Ruhe un der Sonne sitzen kann und komme schließlich um 13:00 zum Fahrradladen. Die größte Kiste ist noch ziemlich klein. Ich muss das Vorderrad, den Sattel und den Lenker demontieren, damit das Rad in den Karton passt. (Die Pedale nach innen zu schrauben ist ja Standard.)

Ich rufe ein Taxi-Van, drücke den Leuten vom Laden 10$ für die Kaffeekasse in die Hand ("You won't mind if we spend it on beer?" - "No, not at all!") und lasse mich zum Flughafen fahren. Der Fahrer ist Äthiopier und selber sehr musikbegeistert. Die kurze Fahrt zum Airport haben wir demnach genügend Gesprächsstoff. Die 34$, inklusive Trinkgeld, zahle ich natürlich achselzuckend aus der Portokasse. Reisen ist nun mal nicht billig, wenn man kommerzielle Wege beschreitet.

Ich checke am United-Schalter ein, zahle noch mal 25$ für meinen Gepäcksack (exakt 50 lb) und 100$ für das Rad (bei Delta wären es 150$ gewesen).

Erleichtert, im wahrsten Sinne des Wortes, mache ich mich bei 27 Grad in langer Wanderhose und Regenjacke samt Handgepäck auf den Weg zu meinem Gate. Hierbei muss ich tatsächlich noch von Terminal A nach Terminal C wechseln und dabei mitten durch ein riesiges Parkdeck laufen. Die Security fragt mich erstmal wie mein Tag war und ob es draußen schön ist, Ich erzähle kurz von meinem ersten Versuch hier wegzukommen und werde dann weitergereicht zum Körperscan. Breitbeinig stehe ich für etwa zehn Sekunden mit erhobenen Händen in einer Kabine und werde nach dem Austreten nochmal mit Handscanner abgetastet. Die Sicherheitsleute sind so schlecht gelaunt und beiläufig in ihren Kommandos, dass ich mehrfach nachfragen muss, ob ich jetzt weitergehen kann, oder sie mich vielleicht doch noch zur NSA delegieren möchten.

 
Da sie nichts finden, darf ich dann doch in den Gatebereich. Erstmal setze ich mich für bestimmt fünfzehn Minuten auf die erstbeste  Bank und nicke mehrfach für einige Sekunden (oder sind es doch Minuten) ein, um irgendwann zu beschließen, jetzt noch was zu essen, da es auf dem Flug nichts außer Getränken geben wird.

Am Gate ist es sehr voll. Der Flug scheint ausgebucht. Es geht übrigens über San Francisco nach Portland (bei Delta wäre ich über Minneapolis/St. Paul geflogen). Ich werde also da zwischenlanden, wo ich wochenspäter wieder mit dem Rad ankommen werde. Dummerweise hat allerdings United die falsche Maschine für den Flug nach San Francisco bereitgestellt. Die Tankkapazität reicht nicht aus. Nun wird erstmal wieder überflüssiges Kerosin aus den Tanks abgepumpt, da wir in Kansas City zum Auftanken zwischenlanden werden. Der Abflug verzögert sich dadurch um etwa eine halbe Stunde.

 
Mein Fensterplatz in der Economy Plus Klasse (ich wurde am Gate upgegraded) ist zwar nett, aber wegen der zwei älteren Nebensitzerinnen möchte ich auch nicht ständig auf's Klo gehen um mir die Beine zu vertreten. Das wird dann immer sehr kompliziert. Also ertrage ich die fünf Stunden und übe mich in Sitzgymnastik und autogenem Training. Das Umsteigen zum Portlandflug ist stressfrei, die Maschine nicht mal halb voll, und so habe ich eine ganze Sitzreihe für mich. (Der letzte Flug wo ich das erlebt habe war in den späten 80ern mit Albert von und nach St. Petersburg über Prag. Da wurde aber auch noch hinten im Flieger geraucht.) Die anderthalb Stunden in der Horizontalen kommen jedenfalls genau richtig und ich komme einigermaßen entspannt mitten in der Nacht in Portland, Oregon an.

Nach einer etwa zwanzig minütigen Nachtwanderung zum Baggage-Claim - das Gepäck war schneller und ist schon vollständig  auf dem Transportband - trage ich zuerst die Fahrradkiste und dann meinen Gepäcksack nach draußen vor's Terminal. Da ich es nicht eilig habe, fange ich langsam an, das Rad aus dem Karton zu befreien. Es ist tatsächlich noch alles da.

Irgendwann steht dann ein junges Pärchen neben mir, lächelt mich an und fragt: "Where are you headin' to?" Ich sage, dass ich im nahegelegenen Statepark zelten wolle, aber sie bieten mir ihren Garten an. Erin schreibt mir ihre Adresse auf und Matt zeigt mir die grobe Route auf seinem Smartphone. Die beiden kommen gerade von ihrer Hochzeit, ebenfalls aus Boston, und nehmen sich ein Taxi. Sie werden das Gartentor auflassen. Beißende Hunde gibt es nicht, aber Hühner.

Es sind etwa 10 Meilen durch die Nacht. Und für mich beginnt das zweite Kapitel meiner Reise "USA - Der Westen".

Drehbrücke in Massachusetts
Drehbrücke in Massachusetts
Terminal A
Terminal A
"Boston"
"Boston"
...
...
...
...
...
...
Leaving "Boston Logan"
Leaving "Boston Logan"
Mirrors, (nein, der Hund gehört mir nicht!)
Mirrors, (nein, der Hund gehört mir nicht!)
Die "Bay Area" aus der Luft
Die "Bay Area" aus der Luft

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Ulla (Dienstag, 29 Oktober 2013 12:34)

    Hi schön von dir zu hör'n. Du siehst echt müde aus, ist doch anstrengend. Hier hab ich auch Stress mit den Gitarristen, die machen was sie wollen, kleiner Scherz. Es gibt halt einige Verständigungsschwierigkeiten mit der Weitergabe von Zeiten, aber noch hab ich alles soweit im Griff. Jetzt steht erstmal die Oper an und dann die begegnungen. Bin froh wenn Dezember ist und es hoffentlich ein bißchen ruhiger wird. Zur Zeit ist es wie verhext und irgendwie viel zu tun... Bis bald Ulla

  • #2

    Christine Muno Klein (Mittwoch, 30 Oktober 2013 10:59)

    Spannende Geschichten in deinem Blog. Jetzt müsstest du also im südamerikanischen Frühling angekommen sein. Que te vaya todo bién. Wir sind neugierig, was nun kommt. Alles Gute!

  • #3

    Michael (Samstag, 02 November 2013 22:40)

    Hallo,
    Bin mittlerweile in Chile. Wieder am Pazifik in Pichilemu, einem Surferparadies.
    Ich bin gerade dabei die USA Westküstenkapitel zu vervollständigen. Die erste Ladung kommt heute noch. Bei euch natürlich erst morgen.

    Viele Grüße
    Michael

    ps: Vielen Dank an Marianne, meine Mutter, für die neue Galerie.