1.11. Vermont

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Von Montreal versuche ich mich über Radwege aus der Stadt zu winden. Das gelingt durch das fundierte Studium diverser Karten und Stephen's Beschreibungen außerordentlich gut, bis ich kurz vor Ende der Überquerung des "St. Lorenz Stromes" auf einer langen Insel lande und nicht weiterkomme. Ich muss dann noch mal sieben Kilometer die Insel, es ist mehr ein breiter Damm, nach Süden runterfahren, bevor ich auf's Festland rüber kann. Dort komme ich dann sehr leicht aus den Vororten an den Fluß Champlain, dem ich bis an die Grenze zur USA folge. Noch auf der kanadischen Seite liegt auf einer Insel das Fort Lennox. Einige Kilometer weiter steht das nördlichste Blockhaus Nordamerikas. Es befestigte die Grenze bei Lacolle Mill.
All diese Bauwerke dokumentieren die Vielzahl von Kriegen, die hier stattfanden. Meist zwischen Franzosen, Briten und Amerikanern und deren jeweiligen Verbündeten. Sowohl denen aus Europa, wie auch den nordamerikanischen "First Nations", die natürlich willkommene Kameraden auf den Schlachtfeldern waren. Nicht zuletzt wegen ihrer für Europäer unorthodoxen Kriegsstrategien, ihrer profunden Ortskenntnis und sicherlich weil sie, zumindest anfangs, leicht zu kaufen waren.
Es gibt sicherlich nicht viele Stämme, die sich von dem damaligen "Über's Ohr Gehauen Werden" erholt haben. Einer ist jedoch der, der Cree, die in dieser Gegend leben. Sie haben es geschafft, sich eine prosperierende Gemeinschaft auf ihrem Territorium zu schaffen und nicht in einem Reservat zu enden.


Die Grenze zu den Vereinigten Staaten ist gut gesichert. Ich stehe etwa eine halbe Stunde in der Schlange, bis ich von einem gut gelaunten Grenzer in's Zollgebäude gebeten werde. Da ich auf dem Landweg in die Vereinigten Staaten reise brauchte ich vorher nicht das sonst übliche ESTA-Verfahren anleiern. Ich muss nur einige Fragen zu meiner Person, meinen Reiseplänen und meinen Finanzen beantworten, sämtliche 10 Abdrücke meiner Finger einscannen lassen und schließlich sechs Dollar Eintritt zahlen. Dann betrete, oder besser befahre, ich den Boden des Bundesstaates New York. Doch bereits nach fünf Minuten überquere ich den "Champlain River" und befinde mich in Vermont.
Landschaftlich ändert sich erst mal nicht viel, aber die Leute reden wieder Englisch. Und das einfach so, ohne daß ich vorher fragen muss. Eine echte Entäuschung sind allerdings die Banknoten und Münzen. Irgendwie ist das Dollar-Papier billig und die Münzen...
... es gibt nur vier verschiedene: Der Quarter (25 Ct), die Zehn- und die Fünf-Cent Münzen sind alle silbern, wobei die Fünf-Cents größer sind als die Zehner. Auch die Ein-Cent Münze ist größer als der Zehner, aber sie ist kupfern und daher leicht zu unterscheiden.
Alles in allem sind die Münzen aber echte "Peanuts". 25 Cent entsprechen etwa 19 Eurocent. Und das ist die größte Münze!! Dafür hat man dann sein Portemonaie schnell mit Ein-Dollar-Noten aufgebläht. Sind es nicht die amerikanischen Filme, in denen die Leute  beim Bezahlen Geldscheinrollen aus der Tasche ziehen? Da muss ich wohl meine Geldreserven jetzt anders deponieren.
Der höchste Geldschein den ein Bankomat ausspuckt trägt die Nummer "Zwanzig". Das sind fünfzehn Euro und für den alltäglichen Einkauf ist das sicher ausreichend. Da man sowieso fast überall mit Kreditkarte bezahlen kann sind vielleicht auch wirklich keine größeren Scheine nötig. Aber eben nur fast. Ich habe in Motels übernachtet, die auf Barzahlung bestanden haben, als sie meinen ausländischen Pass gesehen haben. In vielen Cafes und Off-Restaurants sieht man auch häufig den Hinweis: "Cash Only" (Nur Bargeld). Es gibt übrigens 100-Dollar-Noten und sogar eine Ein-Dollar-Münze; die sind aber so selten, dass sie wahrscheinlich direkt von Sammlern einkassiert werden, wenn sie irgendwo auftauchen.
Schon komisch, in Kanada wurden die Cents am Ende immer auf 0 oder 5 gerundet. Die Ein-Cent-Münze kriegt man da gar nicht zu Gesicht. Ich hatte mal an einer Tanke Glück. Natürlich habe ich den Cent noch ;-)

Da es zwar nachts, aber nicht tagsüber regnet, merke ich erst am nächsten Tag, daß ich meine gute Bergans Regenjacke wohl bei Stephen vergessen habe. Er hat natürlich bereits eine Mail geschickt, ich hatte aber zwischenzeitlich kein Wifi. Da Sue Jamie, den ältesten Sohn, am Labourday, dem ersten Montag im September, nach Harvard fahren wird, verabreden wir als Treffpunkt den Ort Randolph in Vermont, nahe dem Interstate 89. Dort gibt es einen Campingplatz, wo ich mich dann mal wieder für teures Geld in eine "Gated Community" (eingezäunte Gesellschaft) einmiete. Einziger Vorteil: WiFi im Zelt.

Das Treffen wird eine Nacht und Nebel Aktion. Per Handy halten wir uns jeweils auf dem Laufenden und so erfahre ich, daß gleich hinter Montreal ein heftiger Gewittersturm den gesamten Verkehr ausbremst. Bei mir ist es (noch) trocken und von Wind oder Gewitter keine Spur. Ich baue mein Zelt auf, gehe duschen, und als ich wieder rauskomme fallen die ersten Tropfen. Der Gedanke daran, daß ich bald wieder meine Regenjacke haben werde, lässt mich das etwas gleichgültiger sehen. Und tatsächlich. In der regnerischen und kalten Nacht auf etwa 550 Metern Höhe klingelt gegen 22:45 Uhr mein "Dumbphone". Jennifer sagt Bescheid, daß sie gleich da sein werden.

Ich schäle mich aus Schlafsack und Zelt und springe auf mein Rad. Im Regen fahre ich den Kilometer bis zur Schranke an der Pforte, ( ja, so groß sind dort auch kleine Campingplätze). Als Gäste müßten die drei hier auch noch Eintritt zahlen. Das will ich verhindern.
Ich erwische sie genau am Parkplatz und lege mein Rad im strömenden Regen auf den Boden um mich noch für einen Moment in's trockene und warme Auto zu begeben. Eine Kneipe oder ähnliches gibt es hier leider nicht, bzw hat schon geschlossen.
Die drei haben gute Laune und es macht Spaß noch einige Neuigkeiten auszutauschen. Das Heck ist voll mit Jamie's Sachen. Unter anderem ein Singlespeedrad ohne erkennbare Bremsen (nur Rücktritt, sehr schick!).
Da sie noch einige Stunden vor sich haben, verabschiede ich mich nach etwa zehn Minuten wieder und radle samt Jacke, einem Kamera-Akku und einigen SD-Speichkarten (die waren in einer Innentasche) zurück zu meinem Zelt. Der Regen hat inzwischen an Intensität und Dichte kräftig zugelegt. Am nächsten Morgen ist wieder alles trocken und auch in den nächsten Tage werde ich die Regenjacke nur ein mal kurz brauchen. Aber es ist doch ein gutes Gefühl, mein "zweites Zelt" wieder dabeizuhaben.

 

Eine Nacht zuvor campe ich an einem Parkplatz, an dem schon ein Wohnmobil älteren Typs steht. Als ich nach einem Platz für mein Zelt suche, spricht mich jemand aus dem Inneren durch das Seitenfenster an. Es ist ein älterer Mann mit dunklem Teint und mittellangem Haar, dass nach einem ausgewucherten Militärhaarschnitt aussieht. Und tatsächlich. Jack (aka Onessimus) ist ein Veteran, der seit einigen Jahren mit seinem Wohnmobil durch die Staaten der USA zieht und an Wanderparkplätzen gegen Abend Essen für die hungrigen Heimkehrer anbietet.

Ich baue mein Zelt auf, koche mir mein Essen und geselle mich nach Einbruch der Dunkelheit in's Wohnmobil. Es gibt einen heißen Kaffee und ich lerne "Superseargent Cooper"  kennen, Jacks Hund, der schon seit zwei Wochen eine verletzte Pfote hat und deswegen nur kurze Wege durch die Gegend humpelt. Wahrscheinlich ist die Verletzung die Folge eines Schlangen- oder Spinnenbisses. Jack war schon mehrmals beim "Vet", dem Tierarzt, aber auch die  verabreichten Antibiotika helfen nicht wirklich.

Im Laufe der Unterhaltung über Outdoorleben, Politik, Army kommen wir immer wieder an ethische "Knackpunkte", die "Onesssimus", so Jack's selbstgewählter Name, gerne mit ein paar Bibelversen kommentiert. Irgendwann liegt dann eine kommentierte und farblich unterlegte Ausgabe der Bibel auf dem Tisch und ich werde immer öfter aufgefordert bestimmte Passagen zu lesen, da sie gerade zu unserem Gesprächsfaden passen. Und wirklich, er kennt sich aus. Nur einmal muß er länger blättern, bevor er eine Stelle aus der Apocalypse gefunden hat.

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Unterm Strich muß ich sagen, daß er nie versucht hat mich auf irgendeine Art zu missionieren. Er gehört auch selbst keiner Kirche an, sondern lebt allein mit seiner Bibel. Sehr oft kommt er auf "Devil", "Satan", "Beelzebub" und das Dunkle zu sprechen. Die "Gut-Böse" Differenzierung ist für ihn ein wesentliches strukturgebendes Prinzip in seiner Weltanschauung. George Double-U ist für ihn dabei ein Guter, während Obama eher ein Gesandter aus der Hölle ist. Schließlich hat er unter Bush bei der Aktion "Desert-Storm" u.a. gedient. Mit einem gewissem Stolz präsentiert er mir in all seiner Bescheidenheit einen dicken Stapel militärischer Patente und Urkunden, die er in den mehr als zwanzig Jahren seiner Soldatenkarriere gesammelt hat. Es gibt auch deutsche Urkunden darunter.

Radweg zur "Bikeferry" am Lake Champlain
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"Burlington" Seitenstraße
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"Montpelier" Hauptstraße
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"Montpelier" Gericht
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"Vernetzt"
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"Feuerwehr"
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"Roofed Bridges" Überdachte Brücken
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