1.10. Quebec Teil 3

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In Montreal komme ich sehr spontan bei Stephen, einem der drei Paddler von der "Bella Desgagnes", unter. Er wohnt in Montreal Quest, einer der englischsprachigen Enklaven innerhalb des Stadtgebiets, und ist Professor an der Mc Gill Universität (ebenfalls englischsprachig).
"In Order of Appearance" lerne ich zunächst seine Tochter Jennifer, die bald mit der Schule fertig ist und deren Seagull-Gitarre ich etwas "pimpen" kann, dann Sue, seine Frau, die im Healthcare  und Research-Bereich gerade vor einem Jobwechsel steht, und einen Tag später Michael, den mittleren Sohn, der gerade mit der Schule fertig ist und ab nächster Woche in B.C. (gemeint ist "British Columbia" aber eigentlich Vancouver) auf's College gehen wird, nebenbei aber auch noch semiprofessionell auf dem Longboard unterwegs ist, kennen. Etwa eine knappe Woche später werde ich in Nacht und Nebel schließlich auch noch Jamie, den ältesten Sohn erleben, der in Harvard kurz vor seinem Physik-Abschluß steht und gerade vom "Iron Man Festival" in Nevada zurück ist und neben seiner Ruderkarriere auch musikalisch sehr aktiv ist. Aber dazu mehr im nächsten Kapitel, denn dieses Treffen mit Sue, Jennifer und Jamie findet aus verschiedenen Gründen in "Vermont, USA" statt.

Das Haus hat von außen wegen der schwarz-weiß gehaltenen Farbgebung des Fachwerks, einen leicht deutschen Charakter, innerhalb eines Viertels, dass doch mehr von britischen Baustilen geprägt ist. Das fast quadratisch geschnittene Gebäude teilt sich in jeweils vier Zimmer pro Stockwerk, die wiederum von zwei völlig getrennten, stark verwinkelten und in sich verzwirbelten Treppenhäusern zugänglich sind. Dies wird später noch interessant, wenn die Kammerjäger im Haus sind um die von irgendwoher eingeschleusten Bettwanzen durch Erhitzung der einzelnen Räume auf etwa sechzig Grad Celsius zu eliminieren. Sie kommen zu dritt und haben allerlei Gerätschaften samt eines Starkstromgenerators im neutral-gehaltenen Trailer vor dem Haus dabei. Alles in allem unterscheidet sich der Auftritt nur unwesentlich von unserem "Ghostbuster"-Witzeleien  vom Vortag. Die Uniformen sind halt nicht ganz so oppulent und sie tragen keine Helme, aber die ganzen Heizaggregate und jede Menge Schläuche und Kabel verstopfen Flure und Treppen. Jedenfalls ist das zweite Treppenhaus jetzt eine echte Alternative.

 

Stephen, der gerade kurz vor Ende eines "Sabaticals" steht und geistig schon stark mit den Vorbereitungen für das kommende Semester beschäftigt ist, kocht jeden Abend ein wirklich fantastisches Essen. Nicht nur für den kulinarisch doch etwas eingeschränkten Radler ist es ein Paradies. Ich beteilige mich am  nächsten Tag mit einem Tomaten-Mozzarella-Kräuter-Salat als Beilage, aber Stephen's Kochvariationen sind wirklich ausgesprochen"essens- und genießenswert" und nicht zu toppen. (Aber das hört er eigentlich nicht gerne, in seiner Bescheidenheit).
Ich habe mich selten so ungezwungen und unkompliziert in einem fremden Haushalt bewegt wie dort. Das Gefühl, einerseits willkommen zu sein, und andererseits die Selbstverstädlichkeit machen zu können was man möchte und nicht der gehätschelte Gast zu sein, fand ich sehr beeindruckend. Meine Dienstbotenkammer im zweiten Stock (dort ist es der "third floor", denn man zählt anders. Das Erdgeschoss ist im englischen bereits der "first floor".) ist meine Schlafstätte abseits des sonstigen Lebens. Auch die Bettwanzen erreichen mich dort nicht, obwohl zwei der Nebenzimmer wahrscheinlich befallen sind.

 

Montreal ist eine sehr betriebsame Stadt. Viel Verkehr, viel Gewusel und viele Menschen. Trotzdem hat es nicht die Kälte und Anonymität, die ich von vielen europäischen Großstädten kenne.
Die Stadt gliedert sich, ein bißchen wie Berlin, in viele Viertel, die jeweils ihr Eigenleben haben. Der Hafen- und der Finanzdistrikt mit den Wolkenkratzern sind sicherlich die auffälligsten, aber auch die am wenigsten authentischen Stellen, da sie entweder von Touristen oder von kühl kalkulierenden Anzugträgern bevölkert werden. Das "Plateau", nord-östlich des Downtown-Areals, ist dagegen ein lebendiges Viertel, das sehr menschlich und kulturell vielfältig rüberkommt. 

Auf den Straßen herrschen besondere, ungeschriebene Gesetze zwischen Auto- und Radfahrern. An den Stopkreuzungen bremsen Radfahrer nur erwas ab und werden meist von den schon dort stehenden Autofahrern durchgewunken. Aber eben nur meist. Kommunikation heißt hier das Zauberwort. Rote Ampeln gelten nur für Autofahrer. Radfahrer fahren in die Kreuzung ein und nutzen dann die Verkehrslücken der Ampelphasen. Das Ganze ist reichlich anstrengend, auch, weil die Radwege sehr voll und nicht allzu breit sind und die Radler mit sehr unterschiedlichem Tempo unterwegs sind. Für die Langstrecken gibt es in bestimmten Richtungen allerdings sehr gute und flüssige Verbindungen meist an Kanal- und Flußufern.
Auf dem Weg zu meinem kanadischen Outfitter, der "Mountain Equipment Cooperation", bei der ich dank meines einmaligen 5$-Mitgliedsbeitrags in Halifax nun ein lebenslanges Mitglied bin, stoße ich dann allerdings auf sehr komplizierte Fahrradinfrastrukturen. Da die großen Highways natürlich für Radfahrer verboten sind, gibt es so einige Verkehrslnotenpunkte, an denen Ausfallstraßen den Highwayring schneiden, wo man als Radler eigentlich gar nicht weiterkommt, wenn man die Schleichwege nicht kennt. Andere Radfahrer sind da immer eine gute Informationsquelle. Oft hat man streckenweise den gleichen Weg und wird dann durch die Stadt gelotst.

Nach einem stressigen Shoppingtag und einem relaxten Fototag bei hochsommerlichen Temperaturen verabschiede ich mich dann in Richtung USA, natürlich nicht, ohne den Hausberg, den "Mont Royal", mit dem Fahrrad erklommen zu haben. Er ist eine grüne Lunge inmitten der hektischen Stadt insel und hat eine beachtliche Höhe von 233 Metern. Die Aussicht ist natürlich berauschend.

 

Im Nachhinein fallen mir dann natürlich noch jede Menge Merkwürdigkeiten auf, die sich allerdings sämtlich in den Neuenglandstaaten Vermont und New Hampshire fortsetzen:
Etwa jedes dritte Haus ist zu verkaufen. In den Vorgärten oder an den Hauswänden sind dann Schilder angebracht, auf denen neben des " A Vendre" und den Kontaktdaten der Makler, die so klangvolle Namen wie "Jacques Couture" und "Linda Bonmaison" haben, auch noch deren photogeschopte Konterfeis abgebildet sind.

Neben Flohmärkten gibt es das "Vente de garage", wo nicht etwa die Garage, sondern deren Inhalt zum Verkauf steht (In diesem Zusammenhang musste ich auch lernen, dass " Bois de Camping" nicht etwa ein Campingwald, sondern schlicht Feuerholz ist.)
Der Inhalt der Garagen ist Trödel. Sachen, die man selbst nicht mehr braucht, die man aber auch nicht wegschmeißen möchte. Davon gibt es hier scheinbar solche Mengen, das sogenannte "Selfstorage"-Unternehmen ihre Dienste in Form von Vermietung von Lagerraum anbieten. Diese Lager sieht man überall an Landstraßen oder in den Städten. Mit Stacheldraht gesicherte Garagenhöfe, quasi Guantanamos für Ungenutzte Gegenstände . Nur, daß die obere Stacheldrahtzone nach außen, und nicht nach innen ragt. Die Dinge laufen ja schließlich nicht weg, was eventuell das Grundproblem darstellt.
In Werbespots werden Familienväter gezeigt, die ihre Ehefrauen davon abhalten Sachen verkaufen zu wollen, sondern sie stattdessen im Selfstorage einzulagern. Dann, als Abschlußbild, sieht man eine zufriedene Familie, die - scheinar befreit vom Wohlstandsballast - unbeschwert in den Tag hineinlebt. So macht die Konsumwirtschaft noch mal Kasse bei der Endlagerung ihrer eigenen Produkte. Entschuldigend sollte ich wohl noch erwähnen, daß die meisten Häuser hier keine Keller haben.

Als Konsequenz meiner Beobachtung entsorge ich jedenfalls mein undichtes, aufblasbares und schon zweimal geflicktes Kopfkissen. Oder sollte ich dafür nicht vielleicht doch eine Zelle mieten?

 

Eine architektonische Nuance ist der Trend zur Veranda. Manchmal nur an der Front, manchmal noch an einer Seitewand aber oft auch rund um's ganze Haus ziehen sich die hölzernen Geländer und Dachstützen. Der darunterliegende Raum wird gerne mit Holzgittern verkleidet und bietet so eine Menge Stauraum für ungenutzte Dinge oder den Rasenmäher und die Heckenschere. Ganz strukturierte Haushalte haben das natürlich nicht nötig und stützen ihre Veranda mit einigen Streben. Diese wiederum laufen nicht senkrecht in den Boden, sondern schräg in's Hausfundament. Der klare Vorteil dieser Konstruktion; Man kann mit dem Rasenmäher locker drunter durchmähen.

Rasenmähen ist hier übrigens ein Volkssport. Nur selten erreichen die Halme eine Länge von zwei Zentimetern. Durch die Größe der Grundstücke gibt es da natürlich einiges zu tun. Und natürlich verzichtet man gerne auf den Zaun oder gar die Mauer zum Nachbarn. Dann ließe sich ja die Halmlänge nicht mehr so leicht vergleichen.

 

Auf den Veranden gibt es ein ganz klares Gesetz. Sitzgelegenheiten müssen beweglich sein. Und zwar während des Sitzens. Da gibt es dann den klassischen "rocking chair" (Schaukelstuhl) und die "rocking bench" (Schaukelbank), die Hängebank, aber auch eine Rollenkonstruktion, die aussieht wie eine Picknickbank bei der sich die Sitzflächen und der Boden in gegengesetzte Richtungen bewegen. Man sitzt sich also gegenüber, hat einen Tisch in der Mitte und schaukelt gemeinsam zum Plausch beim Tee. Gibt es als Zwei-, und als Viersitzer.

Montreal vom Lachine Canal
Montreal vom Lachine Canal
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Downtown Montreal
Downtown Montreal
Hopp On & Off Tourists
Hopp On & Off Tourists
Am Hafen
Am Hafen
Streetlife
Streetlife
Brücken über den St. Lorenz Strom
Brücken über den St. Lorenz Strom
Urban Surfing an den "Rapides"
Urban Surfing an den "Rapides"
Auf dem "Mont Royal"
Auf dem "Mont Royal"

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Kommentare: 1
  • #1

    ulla (Dienstag, 22 Oktober 2013 12:28)

    Hi, lange nichts gehört. Hier waren grad Herbstferien, wobei ich nur die erste Woche frei hatte, dann hab ich hier im Büro noch ein bißchen was aufgearbeitet. Heut ist ein super schöner warmer Herbsttag, bis 20 Grad und Sonne - und das an meinem langen Dienstag - Mist. Wo bist du zur Zeit? Haben jetzt seit 7 Wochen nichts mehr von dir gehört. Kennst du uns noch, oder gefällt dir die Gegend wo du grad bist so gut, dass du uns vergessen hast? Viel Spaß noch Ulla